Lesung am 26. Januar 2024

„Ich möchte, dass jemand es findet, sogar ein Deutscher, und es liest.“
Lesung aus Tagebüchern verfolgter jüdischer Jugendlicher zum Holocaust-Gedenktag

Am Vorabend des internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust gestalteten fünf Jugendliche aus Bensheim und Zwingenberg eine Lesung aus Tagebüchern junger jüdischer Shoah-Opfer mit Musikbegleitung. Die Veranstaltung, die der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge gemeinsam mit der katholischen und evangelischen Kirche ausrichtete, begann am 26. Januar (Freitag) um 19 Uhr im katholischen Gemeindezentrum Zwingenberg, Heidelberger Straße 18
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Das bewegende Tagebuch der Anne Frank haben seit der ersten Auflage 1947 Tausende gelesen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte nun der Berliner Metropol Verlag einen Band mit 30 Tagebuch-Aufzeichnungen jüdischer Jugendlicher aus 13 europäischen Ländern – erschütternde Zeugnisse des Holocaust. Elf dieser jungen Menschen haben die Shoah nicht überlebt, wie der Herausgeber Wolf Kaiser in seinen informativen Einleitungstexten zu dem Buch „Der papierene Freund“ schreibt.

Ein Zitat der 18-jährigen polnischen Jüdin Miriam hatte Ulrike Jaspers, zweite Vorsitzende des Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, motiviert, die Lesung am 26. Januar zu organisieren. Miriam notierte: „Ist es nicht dumm, dass ich mir einen Schritt vor dem Tod Sorgen mache, was mit meinem Tagebuch passieren wird: Ich wünschte, es würde nicht kläglich in einem Ofen oder auf einer Müllhalde landen. Ich möchte, dass jemand es findet, sogar ein Deutscher, und es liest.“ Der Vorabend des Holocaust-Gedenktags war der richtige Tag, dieses öffentlich und im Gedenken zu tun.

Die Zwillinge Fiona und Kirsi Ränker aus Zwingenberg, Konstantin Gosch aus Bensheim und Tobias Lang trugen Ausschnitte aus den Tagebüchern der Lettin Sheyna Gram und der Niederländer Bernie Spies und Ellis Paraira vor. Sie spiegeln in dem Wechsel nüchterner und emotional aufgewühlter Sprache ihre Hoffnungen und Ängste ebenso wider wie ihren Lebenswillen und Mut. Als Sheyna voller Angst war, von der deutschen Sicherheitspolizei oder holländischen Nazi-Kollaborateuren in einem der Verstecke enttarnt zu werden, schrieb sie: „Gott, wie schlimm es ist, zu sterben oder in einem Konzentrationslager zu landen, wenn das einzige Verbrechen, das man in seinem Leben begangen hat, darin bestand, als Jude geboren zu sein!!!“

Pfarrer Christian Stamm begrüßte die Gäste zu Beginn und Pfarrer Christian Hilsberg sprach zum Abschluss einen Segen. Mit kurzen Musikeinlagen bereicherten die Geschwister Antonia (Bratsche) und Konstantin Gosch (Violine) die Lesung. Der erste Vorsitzende des Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, Dr. Fritz Kilthau, dankte allen Beteiligten und übergab den Vortragenden als kleine Anerkennung Büchergutscheine.

Der Verdienst dieses umfänglichen Sammelbandes ist es, dass die Edition viele unbekannte und bisher nur in anderen Sprachen veröffentlichte Aufzeichnungen von jüdischen Kindern und Jugendlichen auf über 600 Seiten zusammenfasst. Dabei ist jedes einzelne Tagebuch eine eigene Geschichte – sowohl das Notierte als auch die Informationen über die Entdeckung dieser Notizen und ihrer Weitergabe. All dieses hat der Herausgeber Wolf Kaiser, ehemaliger Leiter der Bildungsabteilung im Haus der Wannsee-Konferenz, in seinen Texten, Fußnoten und Literaturangaben akribisch zusammengestellt und damit den Kontext geschaffen, um die Original-Tagebucheintragungen einordnen zu können.
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