Öffentliche Jahreshauptversammlung

Zu einer öffentlichen Jahreshauptversammlung lädt der Verein "Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V." am Mittwoch, 2. Juni 2004, 19 Uhr in das evangelische Gemeindehaus in Alsbach, Bickenbacher Straße 27 ein.
Als Gastreferent wird der Geistliche Rat Karl Kunkel, Bensheim, über seine Verfolgung während der NS-Zeit berichten: Im Jahre 1913 in Ostpreußen geboren, wurde Pfarrer Kunkel im Juli 1944 in Königsberg verhaftet, da man ihm Verbindungen zu Regimegegnern im Ausland unterstellte. Er kam zunächst ins Konzentrationslager Ravensbrück, wo er während der Verhöre durch die Gestapo schlimm misshandelt wurde. Mitte 1945 wurde er ins KZ Dachau verlegt, von wo er zu Kriegsende als Sonderhäftling - unter anderem zusammen mit Martin Niemöller - nach Südtirol verschleppt wurde. Dort wurde er schließlich von den Amerikanern befreit.
Nach den Berichterstattung des Vorstands über die vergangenen und zukünftigen Aktivitäten des Vereins soll intensiv über den Verein selbst diskutiert werden; Themen sind die Einbindung und Information der Mitglieder, die Außendarstellung, das Gewinnen neuer Mitglieder sowie neue Ideen für den Verein.

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 5. Juni 2004

Friedliches Miteinander der Kulturen und ReligionenArbeitskreis Synagoge möchte sich vielfältigen Themen öffnen / Positiver Geist bei Jahreshauptversammlung

Zwingenberg. Von einem "etwas exotischen Image" sprach Dr. Fritz Kilthau, als er den Zustand des Geburtstagskindes definierte. Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge ist am 1. Juni fünf Jahre alt geworden und führt bei etlichen Bürgern das Dasein eines vermeintlich monothematischen "Juden-Vereins" (Kilthau). Die Geschichte der mit Zwingenberg ebenso tief wie nachhaltig verbundenen Juden soll zwar weiter den Kern, nicht aber das alleinige Interessengebiet des Vereins darstellen.

Für das "friedliche Miteinander aller Kulturen und Religionen" möchte sich der beständig engagierte Arbeitskreis stark machen, der sich am Mittwoch zu seiner Jahreshauptversammlung traf. Im evangelischen Gemeindehaus in Alsbach hatte der Vorsitzende fast nur Positives zu vermelden. Die Mitgliederzahlen sind mit derzeit 43 weiterhin stabil, die Vereinskasse ist nicht unerheblich gewachsen und das breite und erfolgreiche Veranstaltungsprogramm des Vereins wird auch im aktuellen Jahr fortgesetzt. Nach einem angenehmen Einblick in die Finanzen durch Rechner Reinhold Dinges wurde der Vorstand einstimmig entlastet.

Die Vielfalt der Themen, die sich der Arbeitskreis künftig verstärkt auf die Fahnen schreiben will, zeigt sich bereits bei einem Blick auf den neuen Terminkalender: Die Reihe "Zwingenberger Perspektiven" wird schon an diesem Sonntag mit einem Rundgang über den Alsbacher Judenfriedhof fortgesetzt, zu dem erstmals ein neues Informationsheftchen angeboten wird. Am 3. Juli findet die traditionelle Stadtführung auf den Spuren der Zwingenberger Juden statt, im September beteiligt sich der Verein erneut bei "Radio Melibokus", vertreten durch den bewährten Moderator Dr. Christoph Klock. Am 15. September wird der Darmstädter Pfarrer Walter Ulrich über die jüdischen Einflüsse im südhessischen Dialekt sprechen.

Interessante Einblicke ganz ander Art verspricht ein Treffen mit der Zeitzeugin Agathe Jaennicke, die im März 2005 in Zwingenberg zu Gast sein wird. In den letzten Kriegstagen kam Frau Jaennicke, der Vater ein Cousin von Theodor W. Adorno, ins Melibokusstädtchen, wo sie mit ihrer Mutter und dem Großvater Tagebuch führte. Die spannende Lesung dürfte einer der Höhepunkte des laufenden Vereinsjahres werden.

Offiziell gefeiert wird das Jubiläum des Synagogenvereins am 22. September im katholischen Pfarrzentrum mit großem Buffet und einem ebensolchen Kulturprogramm. Dr. Fritz Kilthau erhofft sich, den Stellenwert des Areitskreises im Reigen der Zwingenberger Vereine zu kräftigen und möchte den Verein künftig noch näher am Puls der Stadt heranbringen.

Auch die Veranstaltungen mit der Stadt und den Pfarrgemeinden seien vorbildlich und müssten fortgesetzt werden, so Kilthau, der derzeit mit einem virtuellen Stadtrundgang im Zeichen der jüdischen Vergangenheit schwanger geht. Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge bleibt aktiv und kreativ und ist offen für neue Ideen, die den Verein ohne thematische Scheuklappen durch die nächsten fünf Jahre führen. tr

© Bergsträßer Anzeiger - 05.06.2004

Ein Prediger zwischen den Zeilen - Pfarrer Karl Kunkel beim Arbeitskreis Synagoge: Beobachtungen eines Zeitzeugen

Zwingenberg. Kann ein Mensch nach Dachau noch an Gott glauben? Karl Kunkel kann. Der Pfarrer, der nach dem Weltkrieg Rektor im Bensheimer Konvikt war, hat eine Biografie wie ein dickes Geschichtsbuch mit unbeschreiblichen Leiden und namenloser Angst. "Der Herrgott hat seine Hand über mich gehalten und meinen Glauben bestätigt", sagte der 91-Jährige beim Zwingenberger Arbeitskreis Synagoge.

Die Erinnerungen des katholischen Pfarrers und eines der letzten Zeitzeugen standen am Beginn der diesjährigen Hauptversammlung und hinterließen einen nachhaltigen Eindruck über die Details der Nazi-Diktatur. Ohne biografische Glorifizierungen, authentisch und unzensiert berichtete Kunkel aus seiner Zeit als junger Kaplan in Königsberg und über die Vorboten der Verfolgung und des Krieges.

Spätestens, als die Fronleichnamsprozession einer kleinen ostpreußischen Gemeinde von einem Trupp Landjägern gestört wurde, ahnte Kunkel, dass Hitlers Konkordat mit Rom nur ein geschickter Schachzug des "Fühers" war. "Er hat die Übergriffe toleriert. Hitlers Vertrag war eine Täuschung". Die vereinbarten Freiheiten der Kirchen wurden mit Füßen getreten, die außerkirchliche Jugendarbeit verboten und alle Verbände aufgelöst. Viele seiner Freunde und geistlichen Kollegen wurden verhaftet.

Kunkel durfte nicht an die Schulen gehen und predigte fortan zwischen den Zeilen - die Nazispitzel saßen auch in den Gotteshäusern. "Die Leute, die in die Kircher kamen, waren sehr hellhörig", erzählt Kunkel, der, noch keine 30 Jahre alt, wegen Landesverrat verurteilte Soldaten betreuen, zum Schaffott begleiten und begraben musste. Bei einer Erschießung und eine Enthauptung war er als Kaplan dabei - Erlebnisse, die er nur durch die Flucht in den kirchlichen Alltag verarbeiten konnte.

Am 15. Juli 1944 wird er selbst wegen angeblicher Verbindungen ins feindliche Ausland verhaftet. Er kommt in genau die Todeszelle, aus der er wenige Tage zuvor die zum Tode verurteilten abgeholt hat. Kunkel wird ins KZ Ravensburg gebracht. Am Tage des Hitler-Attentats am 20. Juli wird er von den Nazis verhört. "ich hatte ja nichts zu sagen und kam mit einem blauen Auge und einem zerschlagenen Trommelfell davon", erinnert sich Karl Kunkel.

Als die Front näher rückt, wird er ins KZ Dachau verlegt, wo er im so genannten "Priesterblock" mit über 300 katholischen Geistlichen und Tausenden polnischer Priester gefangen ist. Obgleich in Einzelhaft, erährt Kunkel von seinen bekannten Mithäftlingen Martin Niemöller, Leitfigur der antinationalistisch eingestellten Bekennenden Kirche und späterer hessischer Kirchenpräsidenten, und Bischof Gabriel von Clermont-Ferrand.

Als der Krieg vorbei war, brachten ihn die Amerikaner über Verona und Neapel nach Capri, wo Kunkel vom amerikanischen Geheimdienst vernommen wurde. "Am Himmelfahrtstag 1945 wurde ich im Hotel Eden Paradiso eingesperrt. Wenn das kein Zeichen war!" Karl Kunkel überlebt.

Nach vier Jahren im Oberbayrischen kommt er 1950 nach Bensheim. Nach 23 Jahren als Pfarrer in Mainz-Kostheim lässt sich Karl Kunkel hier erneut nieder und berichtet von den Erlebnissen eines beeindruckenden und bewegenden Lebens. Karl Kunkel hat Dachau überlebt und mit ihm sein Glauben an Gott. tr

© Bergsträßer Anzeiger - 05.06.2004

zurück