25 Jahre Arbeitskreis
Bilder: Michael Ränker, Zwingenberg
„Oder war das alles nur Versöhnungstheater?“
Weckruf von Prof. Mirjam Wenzel bei der Feier zum 25-jährigen Bestehen unseres Arbeitskreises
„Wenn der Demokratie die Luft ausgeht, dann bekommen es Jüdinnen und Juden als Erste zu spüren“, so Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, bei ihrem. Festvortrag zum 25-jährigen Bestehen unseres Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge e.V. und sie untermauerte dies mit einem eindrucksvollen Bild: „Jews are the canary in the coalmine – wie Kanarienvögel in Kohleminen Frühindikatoren für Vergiftungen waren, so sind Jüdinnen und Juden Seismografen für politische, gesellschaftliche und kulturelle Fehlentwicklungen.“ Und das müsse ein Warnzeichen für alle in Deutschland sein. Sätze der Frankfurterin, die die über 70 Anwesenden am 22. November 2024 im Diefenbachsaal des Zwingenberger „Bunten Löwen“ an der eher beschaulich wirkenden Bergstraße aufrüttelten.
Zuvor hatte der Vorsitzende des Arbeitskreises Dr. Fritz Kilthau die Gäste begrüßt, darunter neben der Referentin den Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Andreas Kovar, den Bürgermeister Dr. Holger Habich, den Kreisbeigeordneten Philipp-Otto Vock in Vertretung des Landrats, Mitglieder des Magistrats, Stadtverordnete, Mitglieder der Zwingenberger Parteien, Vertreter der Kirchengemeinden und der weiterführenden Schulen aus der Nachbarschaft. Ein Gruß galt auch den Anwesenden aus weiteren Synagogenvereinen, Geschichtswerkstätten sowie einigen Stolpersteinvereinen aus den Kreisen Bergstraße und Darmstadt-Dieburg. Besonders willkommen hieß Kilthau die anwesenden Gründungsmitglieder des Vereins: den früheren Zwingenberger Bürgermeister und Vereins-Ehrenmitglied Kurt Knapp, Michael Ränker, die stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau Ulrike Scherf und Renate Weber.
Dr. Kilthau erinnerte an die Gründung des Vereins und benannte viele Schwerpunkte der bisherigen Vereinsaktivitäten. Um langfristig die Arbeit des Vereins fortführen zu können, wünscht er sich die Mitarbeit weitere aktiver Personen, insbesondere von jungen Menschen: „Diese Arbeit erscheint mir heute leider wichtiger als je zuvor.“ (Den vollständigen Text seiner Rede findet man hier.)
Viel Lob gab es von Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Andreas Kovar für die vielen Facetten einer Erinnerungskultur, die der Arbeitskreis in den vergangenen 25 Jahren aufgegriffen habe: „Die Geschichte und die Gesellschaft brauchen mehr Menschen, die etwas tun, als Leute, die vorschlagen, dass etwas getan werden könnte oder müsste.“ Auch Bürgermeister Dr. Holger Habich würdigte die vielfältige Kulturarbeit des Vereins, der das Leben der Stadt sehr bereichere. Der ehrenamtliche Kreisbeigeordnete Philipp-Otto Vock überbrachte die Grüße von Landrat Christian Engelhardt und bescheinigte dem Verein, dass seine Arbeit, die er bereits seit vielen Jahren mit großem Interesse verfolge, kreisweite Resonanz erreiche.
Einen Einblick in die aktuelle Lebenssituation der Jüdinnen und Juden in Deutschland gab anschließend Mirjam Wenzel in ihrem Vortrag „Herausforderungen für die Erinnerungs- und Museumsarbeit nach dem 7. Oktober 2023“, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Michael Ränker berichtet im Bergsträßer Anzeiger vom 26. November 2024 über ihre sehr beeindruckende Rede: „‚Es ist sehr ernst.‘ Nur vier Worte sind es, ruhig und sachlich, ohne Pathos gesprochen, die jedoch an Eindringlichkeit kaum zu überbieten sind…Längst ist das kein unbeschwertes, kein sicheres Leben mehr. Das Privathaus einer Museumsmitarbeiterin wird mit Hakenkreuzen beschmiert, die Gedenkstätte an der Frankfurter Großmarkthalle, die an Massendeportationen erinnert, wird regelmäßig geschändet. Und Mirjam Wenzel muss sich bei einer Lesung als ‚Zionistin‘ und ‚Rassistin‘ beschimpfen lassen. ‚Der Antizionismus ist kein abstraktes Phänomen‘, führt Frau Wenzel im beschaulichen Zwingenberg dramatisch vor Augen, wie sehr sich die Schatten des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte über die Gegenwart legen… Wichtiger denn je sei daher eine ‚konsequente Bildungsoffensive‘, lädt sie dazu ein, das Jüdische Museum Frankfurt – ‚wir sind ein offenes Haus‘ – zu besuchen und die Workshops und Führungen zu nutzen. Sie ruft ‚zu einer zivilgesellschaftlichen Anstrengung‘ auf, um der ‚Erosion der Werte‘ Einhalt zu gebieten. Und sie ermutigt die Akteure des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge dazu, ‚dass Sie an Ihrem Ort diese Arbeit tun, denn es gibt etwas zu verteidigen und zu behaupten: Und das sind die Werte unserer Demokratie‘.“
„Oder war das alles nur Versöhnungstheater?“ hinterfragte Mirjam Wenzel bewusst provokant, was in den vergangenen Jahrzehnten beispielsweise bei Reden zu Holocaust-Gedenktagen oder anderen Anlässen öffentlich gesagt wurde. Es brauche mehr als Bekenntnisse, es brauche auch Aktionen der Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in diesem Land und eine Aufklärungsarbeit in allen Schichten der Gesellschaft.
Der Festakt wurde musikalisch virtuos von Almut Schwab (Akkordeon und Hackbrett) und Gabriela Kaufmann (Klarinetten) begleitet, zwei Musikerinnen der Frauenmusikgruppe „Klezmers Techter“. Ihre zum nachdenklichen Verweilen anregenden Stücke nach der Festrede und ihre später etwas heiteren Töne kamen bei den Gästen gut an. Viele erinnerten sich an das fulminante Konzert der vier Klezmer-Techter in der Zwingenberger Bergkirche im Oktober 2023.
Mit ihrer Musik erfreuten sie die Gäste auch noch nach dem offiziellen Teil der Feier zu einem Buffet mit Fingerfood und Getränken. Wiederholung erwünscht – so der Tenor! In den Gesprächen der Gäste untereinander entwickelten sich auch einige Impulse für thematische Kooperationen mit anderen Vereinen und Initiativen. Dabei betonte Mirjam Wenzel noch einmal: „Lassen Sie uns treffen und darüber diskutieren, wo wir die Initiativen an der Bergstraße unterstützen können.“ Und vielleicht vergrößert sich auch die Zahl der Mitglieder und der Aktiven im Arbeitskreis? Es gab ein paar hoffnungsvolle Gespräche.
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