Workshop mit Dr. Spohr

„War mein Großvater ein Täter?“
Workshop mit Historiker hilft bei Recherchen zur NS-Geschichte in der Familie und Personen im lokalen Umfeld

Was hat mein Vater, (Ur-)Großvater im Krieg eigentlich gemacht? War er als Wehrmachtsangehöriger Täter, Mitläufer oder Zuschauer? Oft ist wenig bekannt in den Familien, ein paar Geschichten vom „Iwan, der gegenüber lauerte und von einem Kameraden erschossen wurde“, oder von der Rettung ins Lazarett – ansonsten großes Schweigen.
Die dritte und vierte Generation nach dem Nationalsozialismus ist aufgewachsen mit einem unspezifischen Gefühl, dass da nicht alles gesagt ist. Familiennarrative und Mythen sind anfällig dafür, Tatsachen zu verdrängen oder sie schlicht umzudeuten. Doch über 65 Prozent meinten bei einer Befragung: Sie fänden es sinnvoll, sich mit der Familiengeschichte im Nationalsozialismus zu beschäftigen. So hat es die Studie „MEMO Deutschland“ im Auftrag der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vor fünf Jahren herausgefunden. Archivare beobachten, dass Recherchen zur Familien-Geschichte in der NS-Zeit immer häufiger die Enkel- und Urenkelgeneration interessiert.
Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge nimmt dies zum Anlass, einen Workshop zu organisieren: Dort können Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen, wie sie an Informationen gelangen, wenn sie zur Familiengeschichte im Nationalsozialismus forschen wollen. Ergänzend geht es um lokale Recherchen: Wie lässt sich mehr über Personen herausfinden, die während der Nazi-Zeit in unserer Region eine Rolle gespielt haben? Diesen ganztägigen Workshop mit dem Historiker Berliner Dr. Johannes Spohr bietet der Arbeitskreis am 16. November (Samstag) in Zwingenberg an. Wie gehe ich am besten vor? Wie gelange ich an welche Informationen? Welche Archive helfen mir weiter, wie nutze ich sie effektiv? Und wie sind die Ergebnisse zu verstehen und einzuordnen? Um Beantwortung dieser Fragen und weiterer Aspekte geht es bei dem Workshop.
„Wer sich auf den Weg der Recherche begibt, ist nicht immer im Besitz umfangreicher Dokumente. Manchmal liefern Erzählungen aus der Familie und Umfeld oder Fotos erste Anhaltspunkte. Einige beginnen die Suche ohne jegliches Vorwissen“, so Spohr. Johannes Spohr hat sich nach dem Tod seines Großvaters intensiv mit dessen Vergangenheit beschäftigt. „Er hat sich selbst als Kriegsgegner bezeichnet, habe aber keine andere Wahl gehabt als Soldat zu werden“, sagt der Enkel. „Er war an sehr vielen Orten, an denen Verbrechen passiert sind, also er war zum Beispiel in dem ukrainischen Ort Winnycja, zu dieser Zeit wurden dort 10.000 Juden und 5.000 Kinder erschossen. Ich weiß aber nicht, ob er zur Tatzeit am Tatort war.“ Und er fügt hinzu: „Der Opa ein Nazi, der Enkel ein Geläuterter, so einfach läuft’s nicht. Mir geht es darum, meine Biografie in einen sinnhaften Kontext zu stellen und die Geschichte zu verstehen, weil mir meine Familie keinen Zugang zur Geschichte ermöglicht hat.“
Informationen zu dem Workshop am 16. November (Samstag): Die Zahl der Teilnehmenden ist auf 15 Personen beschränkt, eine Anmeldung ist erforderlich unter info@arbeitskreis.zwingenberger-synagoge.de .Der Workshop findet von 10 bis 17 Uhr im Goethe-Raum über dem Restaurant „Bunter Löwe“ statt (Eingang über Treppenhaus auf der Rückseite). Die Teilnahme-Gebühr beträgt 50 Euro inkl. Mittagessen und Getränke.
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