Bericht des Instituts für Personengeschichte

Wir danken Herrn Florian Müller vom Institut für Personengeschichte, 64625 Bensheim, Hauptstraße 65 (https://personengeschichte.de/institut-fuer-personengeschichte) für die Genehmigung zur Veröffentlichung seines Vortragsberichts aus Ausgabe Nr. 3 des Interaktiven Portals "Personen/Geschichte" (https://personengeschichte.de/interaktives-portal-personen-geschichte)

Vortragsbericht »Verfolgt – ermordet – gerettet: Die jüdische Bensheimer Familie Rosenfelder und ihre Nachfahren in der NS-Zeit« im Alten Amtsgericht in Zwingenberg am 14. Mai 2024

Am Dienstag, dem 14. Mai 2024, lud der »Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.« zu einem Bildvortrag mit dem Titel: »Verfolgt – ermordet – gerettet: Die jüdische Bensheimer Familie Rosenfelder und ihre Nachfahren in der NS-Zeit« ein. Die öffentliche Veranstaltung fand ab 19:00 Uhr im Saal des alten Amtsgerichts statt. Gehalten wurde der Vortrag von Dr. Fritz Kilthau, dem Vorsitzenden des »Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge«. Während des Vortrages konnten die ca. 20 bis 25 anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer Einblick in das Schicksal einer jüdischen Familie während der NS-Zeit über drei Generationen hinweg erhalten. Bei den vorgestellten Personen handelte es sich um das Ehepaar Johanna und Jakob Rosenfelder, darauf folgte die Tochter der Rosenfelders, Edda mit ihrem Ehemann Max Jonas und schließlich deren Kinder, Klaus und Gert Jonas. Der Vortrag wurde unterstützt von zahlreichen Bildern der von Dr. Kilthau bei seiner Recherche verwendeten Quellen. Diese umfassten ein breites Spektrum: Zeitungsausschnitte, vor allem aus dem Bergsträßer Anzeiger, Familienfotos, Urkunden, antijüdische Verordnungen und Plakate, Schriftverkehr mit staatlichen Behörden, Finanzdokumente und persönliche Briefe. Ebenfalls wurden Bilder der mit der Familie Rosenfelder in Verbindung stehenden Gebäude in Ansichten von damals und heute gezeigt. Die dargestellten Ereignisse wurden dadurch anschaulich gemacht, dass Fritz Kilthau auch immer wieder kleine Passagen aus den Erinnerungen und Briefen vorlas. Nach dem Vortrag lud der Verein »Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge« zu seiner öffentlichen Jahreshauptversammlung ein.

Fritz Kilthaus Vortrag war in drei Schritte gegliedert, in denen jeweils eine Generation der Familie Rosenfelder bzw. Jonas thematisiert wurde, beginnend mit Johanna und Jakob Rosenfelder. Im Jahre 1902 heiratete Jakob Rosenfelder Johanna Bauer, die Schwester seines Geschäftspartners Julius Bauer. Gemeinsam betrieben Johanna und Jakob Rosenfelder ein Geschäft in der Bensheimer Bahnhofstraße 13, in dem sie Mode, Möbel und diverse andere Manufakturwaren wie beispielsweise Nähmaschinen und Regenschirme verkauften. 1904 wurde ihr einziges Kind, Edda, geboren. Ab 1933 kam es zu ersten Repressalien. Die Rosenfelders waren von den Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte und von antijüdischen Demonstrationen betroffen. Als Adolf Hitler am 20. März 1935 die Stadt Bensheim besuchte, mussten jüdische Geschäfte geschlossen bleiben. Das Geschäft der Rosenfelders wurde in der Reichsprogromnacht am 9./10. November 1938 verwüstet. Während der Reichsprogromnacht wurden die Hintertür des Geschäftes der Rosenfelders aufgebrochen, der gusseiserne Ofen des Geschäfts und die Ladentheke demoliert. »Im Laden lag alles durcheinander«, berichtete die Angestellte Margaretha Weber in einer Erklärung vor der Polizeiverwaltung Bensheim, Kriminalpolizei K2 vom 31. Mai 1958. »Die Nähmaschine war stark beschädigt. Die Stoffballen waren durcheinandergeworfen und derart beschmutzt, dass sie nicht mehr verkauft werden konnten.« Nach der Reichsprogromnacht wurde Jakob Rosenfelder in das Konzentrationslager Buchenwald geschickt und am 10. Dezember des gleichen Jahres wieder entlassen. Sein Gesundheitszustand hatte sich in dieser Zeit stark verschlechtert. Die Rosenfelders wurden zur ›Judenvermögensabgabe‹ in Zusammenhang mit der »Verordnung über eine Sühneleistung deutscher Staatsangehörigkeit« genötigt. Mit der »Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« 1938 wurde der Betrieb des Geschäfts der Eheleute Rosenfelder eingestellt. Fortan waren sie gezwungen, von ihrem Ersparten und dem Verkauf persönlicher Dinge zu leben. Wie ein von Fritz Kilthau bei dem Vortrag gezeigter Graph zum Geschäftsumsatz der Rosenfelders zeigt, nahm dieser bis zum Jahr 1938 kaum ab. 1941 mussten Jakob und Johanna Rosenfelder, wie weitere Jüdinnen und Juden in Bensheim, »unter Zurücklassung ihrer gesamten Einrichtung« (Erklärung des Finanzamtes Bensheim vom 16. April 1941) in ein sogenanntes ›Judenhaus‹ in der Hintergasse (der heutigen Straße Am Bürgerhaus) umzuziehen. »Das Vermögen und das Geschäft wurden von der Partei konfisziert, alles Gold, Silber, Schmucksachen und sonstige Gegenstände von Wert wurden gestohlen.« (Eidesstattliche Erklärung von Edda Jonas, undatiert) Im September 1943 wurden Johanna und Jakob Rosenfelder nach Theresienstadt deportiert, was in einem von Kilthau gezeigten Dokument der Geheimen Staatspolizeistelle Darmstadt als ›Wohnsitzverlegung‹ tituliert wurde. Von dort aus kamen Johanna und Jakob Rosenfelder, zu diesem Zeitpunkt 67 bzw. 70 Jahre alt, 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz, wo sie ermordet wurden.

Edda, die Tochter der Rosenfelders, besuchte, so Kilthau, zunächst die Schule für höhere Töchter in Bensheim, das heutige Goethe-Gymnasium. 1927 heiratete sie den jüdischen Rechtsanwalt Max Jonas aus Essen. Max Jonas absolvierte neben seinem Jurastudium auch ein Studium der Tiermedizin, wobei er in beiden Disziplinen die Doktorwürde erlangte. Im Jahr 1928 wurde Sohn Klaus geboren, sein jüngerer Bruder Gert 1931. Die Familie lebte zunächst in Essen, wo Max Jonas seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nachging. Als Rechtsanwalt war er unmittelbar vom Betätigungsverbot ›nichtarischer Rechtsanwälte‹ infolge des »Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft« vom 7. April 1933 betroffen. Ab 1938 nahmen Pläne der Familie Jonas, die inzwischen nach Berlin umgezogen war, Gestalt an, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Hierfür musste eine ›Reichsfluchtsteuer‹ in Höhe von 23.300 RM entrichtet werden. Warum es doch nicht zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten kam, ist laut Kilthau nicht bekannt. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang mit verschärften Einreisegesetzen in die USA. Die Familie Jonas wurde zur ›Judenvermögensabgabe‹ genötigt. Anfang August 1939 schickten Edda und Max Jonas ihre Jungen mit einem sogenannten ›Kindertransport‹ nach England, damit diese in Sicherheit gebracht wurden. Ein solcher ›Kindertransport‹ musste selbst finanziert werden und sah einen Aufenthalt bis zum Alter von 17 Jahren vor. Die Kinder durften nur einen Koffer und eine Tasche mitnehmen, Spielzeug war nicht erlaubt. Klaus Jonas war zu diesem Zeitpunkt elf und Gert Jonas acht Jahre alt. Die Gebrüder Jonas hatten Glück, dass sie als Geschwister zusammenblieben, denn viele Kinder mussten diese Reise auch allein antreten. Im Januar 1943 wurde Max Jonas verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Aus einer Eidesstattlichen Erklärung von Liselotte Julius aus dem Jahr 1950 und dem Bericht Grete Bergers geht hervor, dass Max Jonas im Winter 1943 in Theresienstadt an Hungertyphus verstarb. Er wurde 58 Jahre alt. Seine Ehefrau Edda täuschte ihren Selbstmord vor und zog mit dem Berliner Theaterdirektor Ferry Werner, einem Freund der Familie, nach Bayern und lebte dort unter falschem Namen als Eva Wagner, der Stieftochter Ferry Werners. Dies führte jedoch auch zu Problemen, wie Kilthau sagte, so konnte Edda Jonas beispielsweise kein Krankenhaus besuchen, als sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte, weil sie dann Papiere hätte vorzeigen müssen. Zudem war diese Täuschung mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden, da Werners ›echte‹ Stieftochter in Bayreuth lebte. Nach dem Krieg kehrte Edda Jonas nach Bensheim zurück. In den folgenden Jahren kam es zu einem zähen Ringen mit den Behörden um Entschädigungen und Rente sowie die Bewilligung von Beihilfen. So wurde ihr beispielsweise lange Zeit nur eine äußerst magere Rente gezahlt, die nicht zum Leben reichte, oder eine Kur für die gesundheitlichen und psychischen Probleme verweigert.

In England kamen die Brüder Gert und Klaus zu Mr. und Mrs. Benson und wurden von diesen wie Adoptivkinder behandelt. Diese Zeit bezeichnete Klaus Jonas in seinem Selbstzeugnis später als traumatisierend wegen der Trennung von den Eltern und Freunden, dem Kontrast zwischen der Metropole Berlin und dem englischen Landleben, weil er der englischen Sprache nicht mächtig und mit einer fremden Kultur konfrontiert war. Hierdurch sollte er eine lange anhaltende Schüchternheit entwickeln. Die Pflegeeltern seien zwar freundlich und großzügig gewesen, aber er habe keine wirkliche Liebe gespürt. Die beiden Brüder wurden ohne Wissen der Eltern christlich getauft und erhielten englische Namen: aus Gert wurde Gerald und aus Klaus wurde Nicholas. Die Kinder erlernten zügig die englische Sprache. Mit den Eltern bestand Briefkontakt, meist separat. In den Briefen ermahnte sie der Vater Max Jonas, brav und fleißig zu sein, aber auch, der Mutter nicht von den Sorgen zu schreiben, damit sich ihr angeschlagener Gesundheitszustand nicht weiter verschlechtere. »Jedenfalls bitte ich dich, Klaus, so etwas nicht mehr an die Mutti zu schreiben, sie ist dann immer sehr traurig und weint und ist noch immer sehr schwach« (Brief von Max Jonas an Klaus Jonas vom 14. August 1939). Die Briefe der Mutter Edda Jonas waren sehr liebevoll und warmherzig. »Wie gerne wäre ich an deinem Geburtstag, geliebtes Klauseli, bei dir. All meine Liebe die ich geben kann ist bei dir!« (Brief von Edda Jonas an Klaus Jonas, Datum unleserlich). Wie die Briefe aufzeigen, erhielten auch die Großeltern Johanna und Jakob Rosenfelder Informationen über den Alltag ihrer Enkel Gert/Gerald und Klaus/Nicholas Jonas in England. »Alles das, was ihr uns über euer Ergehen mitteilt, lesen wir mit größter Freude und Aufmerksamkeit, besonders die Mutti kann sich gar nicht von euren Briefen trennen und trägt sie immer bei sich in ihrer Handtasche. Auch nach Bensheim schicken wir sie immer, wo Opa und Oma sich immer sehr darüber freuen.« (Brief von Max Jonas vom 12. Februar 1940). Eine Familienzusammenführung in Amerika war zu diesem Zeitpunkt weiterhin angestrebt. 1947 kam es erstmalig seit 1939 zum Treffen von Klaus/Nicholas und Gert/Gerald mit ihrer Mutter, es folgten weitere Treffen in England, jedoch hatte sich aufgrund der Ereignisse eine gewisse ›Entfremdung‹ zwischen Mutter und Söhnen eingestellt. Gert/Gerald und Klaus/Nicholas durchliefen in den folgenden Jahren das britische Schulsystem und sie traten in die britische Armee ein. Klaus/ Nicholas studierte in Oxford Physik und heiratete 1955 Josephine Ann Dobbs, mit der er zwei Kinder, Penelope (Penny) und Max, bekam, während Gert/Gerald in der Royal Air Force Karriere machte. Gert/Gerald Jonas verunglückte bei einem Flugzeugabsturz im Jahr 1965. Edda Jonas starb 1997 in Bensheim. Sie liegt, gemäß ihrem letzten Willen, im selben Grab wie ihr Sohn Gert/Gerald in Dorset begraben. Klaus/Nicolas Jonas starb im Jahr 2012 im Alter von 83 Jahren.

Der Vortrag von Dr. Fritz Kilthau lieferte einen detaillierten Einblick in die Lebensumstände sechs jüdischer Personen, die, wie er selbst auch in der Einleitung seiner Broschüre schreibt beispielhaft für die Geschichte vieler deutscher jüdischer Familien stehen, die den Schrecken der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt waren und das Schicksal der Überlebenden dieser Familien maßgeblich prägten.

Zu der Thematik der ›Kindertransporte‹ nach England, kann ich das Buch »›Der olle Hitler soll sterben!‹ Erinnerungen an den jüdischen Kindertransport nach England« von Anja Salewsky empfehlen. In den Beständen des Institutes für Personengeschichte befinden sich eine Dankeskarte für die Anteilnahme am Tod ihres verunglückten Sohnes Gert, im Namen von Edda Jonas und Klaus Jonas, sowie ein Brief von Friedrich Wilhelm Euler an Edda Jonas, bezogen auf den Tod von Gert Jonas. Der Brief verweist auf ein vertrautes Verhältnis zwischen Edda Jonas und Friedrich Wilhelm Euler. Weitergehende, vertiefende Informationen zu dem Vortrag und den besprochenen historischen Personen bietet die gleichnamige 66-seitige Broschüre von Dr. Fritz Kilthau mit zahlreichen Abbildungen und Quellenauszügen. Die Broschüre wie auch die in den Hinweisen aufgeführte Literatur zum Thema ist im Präsenzbestand des Instituts für Personengeschichte vorhanden. (FM)

Literaturhinweise:
- Ludwig Hellriegel, Geschichte der Bensheimer Juden, Bensheim 1963.
- Uri Kaufmann, Die jüdische Geschichte Bensheims, in: Rainer Maas / Manfred Berg (Hgg.), Bensheim Spuren der Geschichte, Weinheim 2006, S. 267–299.
- Fritz Kilthau, Menschengesichter. Die jüdische Familie Bauer, Zwingenberg 2010.
- Fritz Kilthau, Verfolgt – ermordet – gerettet. Die jüdische Bensheimer Familie Rosenfelder und ihre Nachfahren in der NS-Zeit, Zwingenberg 2022.
- Monica Kingreen, Die Deportation der Juden aus Hessen 1940 bis 1945. Selbstzeugnisse, Fotos, Dokumente, aus dem Nachlass hg. und bearb. von Volker Eichler, Wiesbaden 2023.
- Anja Salewsky, »Der olle Hitler soll sterben!«. Erinnerungen an den jüdischen Kindertransport nach England, München 2002.
- Eva-Maria Thüne, Gerettet – Berichte von Kindertransport und Auswanderung nach Großbritannien, Leipzig 2019.
- Ruth L. David, Ein Kind unserer Zeit. Erinnerungen eines Jüdischen Mädchens an Deutschland und an das englische Exil, Wiesbaden 2. neu bearb. u. erg. Aufl. 2005.
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