Auschwitz vor Gericht
Vortrag des Frankfurter NS-Forschers Werner Renz beim Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge
Vor 60 Jahren begann der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess, der große Aufmerksamkeit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit fand. Im Plenarsaal des Römer standen im Dezember 1963 21 SS-Angehörige und ein Auschwitz-Häftling vor Gericht – zwei weitere Personen waren bereits vorher durch Tod bzw. Krankheit ausgeschieden. Die Angeklagten mussten sich für ihre Taten als Mörder und Mordgehilfen im Konzentrationslager Auschwitz verantworten. Über die Hintergründe dieses Prozesses, der 1965 mit relativ milden Strafen zu Ende ging, und über die Auswirkungen dieses Prozesses auf spätere Verfahren berichtete der NS-Forscher und Autor Werner Renz am 21. November bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge im Saal des Alten Amtsgerichts. Renz war langjähriger Mitarbeiter am renommierten Fritz-Bauer-Instituts zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust.
Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965) gilt als das bedeutendste Verfahren gegen NS-Verbrecher in der Bundesrepublik. Zum ersten Mal erfuhr eine breite Öffentlichkeit durch die Aussagen der Zeugen, welche Gräueltaten sich in den Konzentrationslagern abgespielt hatten. Der Strafprozess fand große Aufmerksamkeit und ist in die deutsche Rechtsgeschichte eingegangen. Es ist dem hessischen Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Frankfurt, Fritz Bauer (1903–1968), zu verdanken, dass der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Landgericht Frankfurt am Main als Gerichtsstand bestimmte, wo Bauer junge engagierte Juristen zu den Ermittlungsverfahren einsetzen konnte.
Angeklagt waren u.a. SS-Ärzte, die die mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in Auschwitz angekommene Juden auf der Rampe selektierten – für die Gaskammer oder für das Lager. Mit einer Handbewegung entschieden sie über Leben und Tod. Unter den Angeklagten befanden sich auch zwei Adjutanten der Lagerkommandanten, die das Vernichtungsgeschehen organisierten und beaufsichtigten. Besondere Aufmerksamkeit in den Medien erhielten auch die SS-Männer, die eigenmächtig Häftlinge getötet hatten: Ihnen wurde in der Anklage vorgeworfen Menschen zu Tode gefoltert, ihnen eine tödliche Flüssigkeit ins Herz gespritzt, sie erschlagen, sie im Haftzellen verhungert und verdurstet oder an der Todeswand erschossen zu haben. Wer eigenmächtig getötet hatte, wurde als Mörder zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt – dies betraf sechs der Angeklagten. Wer allerdings auf Befehl gehandelt und keinen Eifer und keine Eigeninitiative gezeigt hatte, kam als Gehilfe mit einer meist milden Freiheitsstrafe davon.
Das Urteil im Auschwitz-Prozess, vom Bundesgerichtshof bestätigt, hatte weitreichende Folgen für die Ahndung anderer NS-Verbrechen. Meist wurden nur noch sogenannte „Exzess-Täter“ verfolgt; die vielen willigen und gehorsamen Befehlsempfänger blieben Jahrzehnte lang von der Justiz verschont.
Werner Renz, Autor zahlreicher Publikationen über die Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 – 1981), darunter sein wohl bekanntestes Buch „Auschwitz vor Gericht – Fritz Bauers Vermächtnis und seine Missachtung“, zeigte in seinem Vortrag auch auf, was passieren musste, damit andere Mittäter wie beispielsweise Demjanjuk erst ab 2009 zur Rechenschaft gezogen wurden.
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