Der Auschwitz-Prozess 1963-1965 in Frankfurt/Main

Anlässlich des Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz erinnert der Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ an den ersten Auschwitz-Prozess: 22 Personen waren damals der schlimmsten Verbrechen gegen Juden, Sinti und Roma und andere Gruppen angeklagt, die sie zum Teil vehement verleugneten: Der Adjutant des Lagerkommandanten, der SS-Offizier Robert Mulka: “Ich habe von den Vergasungen nichts gewusst!“.

Dem hessischen Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer, der das Justizverfahren nach Frankfurt holte, ging es dabei nicht nur um die juristische Aufarbeitung der Verbrechen und dem Nachweis der individuellen Schuld, sondern auch um die öffentliche „Aufarbeitung der Vergangenheit“. Die Zeitungen schilderten den Kadavergehorsam und die Brutalität der Bewacher und Ärzte – der Name des Vernichtungslagers Auschwitz mit seinen mehr als einer Million Toten wurde zum Synonym für den Nazi-Unrechtsstaat. Jahrelang verdrängt sollte nun jeder erfahren, was geschehen war, und daraus erhoffte sich Fritz Bauer eine eindeutige antifaschistische Einstellung der Bevölkerung für die Zukunft.

357 Zeugen, davon 211 Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz waren zur Aussage zum Prozess geladen. Viele von ihnen kamen – zum größten Teil aus dem Ausland - mit großen Vorbehalten und Ängsten. Die Konfrontation mit den Angeklagten und die inquisitorische Befragung durch die Verteidigung, die den Wahrheitsgehalt der Angaben der Opfer und Zeugen generell in Frage stellen wollte, wurden vielen zur Qual. Eine Gruppe von drei Frauen, darunter Emmi Bonhoefer, bot daraufhin den Zeugen ihre Hilfe an und kümmerte sich während des Prozesses um sie. Der heutige Bensheimer Stadtrat Peter E. Kalb, Vorsitzender des Vereins „Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger e.V.“ schloss sich dieser Gruppe an. „Zwischen mir und den meisten Zeugen haben sich Beziehungen entwickelt, die weit über den Prozess hinausgingen und meine Biographie nachhaltig prägten“, so Kalb.

Am 29. Januar 2009 wird er auf Einladung des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ über den Auschwitz-Prozess berichten. Ergänzt werden seine Ausführungen durch eine kurze Bild-Einführung zum KZ Auschwitz und zwei Film-Ausschnitte aus „Panorama“ und „hr - Unsere 60er Jahre“, in denen Peter E. Kalb zum Prozess befragt wurde.

i „Der Auschwitz-Prozess 1963-1965 in Frankfurt/Main“
Vortrag von Peter E. Kalb, Bensheim (Vorsitzender des Vereins „Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger e.V.“)
Donnerstag, 29. Januar 2009, 19:30 Uhr - Saal des Amtsgerichts Zwingenberg
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 2. Februar 2009

Polizisten standen vor Mördern stramm
AK Synagoge:
Zeitzeuge berichtete vom ersten Auschwitz-Prozess

Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Zwingenberg. "Keiner der zwanzig Angeklagten hat auch nur eine Spur von Reue gezeigt. Die Erfahrungen aus dieser Zeit haben sich fest in mein Gedächtnis gebrannt und mein Leben nachhaltig beeinflusst." Peter E. Kalb hat den ersten sogenannten Auschwitz-Prozess in Frankfurt unmittelbar miterlebt. Im Alter von 22 Jahren betreut der damalige Soziologie-Student zahlreiche Überlebende des Holocaust.

Unter den 357 Zeugen waren 211 ehemalige Gefangene des Vernichtungslagers, die erneut deutschen Boden betraten, um in der Verhandlung auszusagen. Es dauerte 20 Monate, bis die Richter im August 1965 das Urteil verkündeten: Sechsmal lebenslänglich, elf Täter wurden zu einer befristeten Freiheitsstrafe verurteilt. Drei wurden aus Mangel an Beweisen frei gesprochen.

"Der Prozess hat Auschwitz in eine breite Öffentlichkeit gebracht", so Peter E. Kalb bei einer Vortragsveranstaltung vom Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge. Der heutige Bensheimer Stadtrat und Vorsitzende der Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger betonte die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Verhandlung, die er als wichtiges Fundament für den späteren Umgang mit den NS-Verbrechen sieht:

Eine unverschleierte Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte, wie sie erst Ende der 1960er Jahre begonnen hatte, wurde durch den Frankfurter Prozess maßgeblich beeinflusst. "Für viele Ältere war die Gerichtsverhandlung durchaus ein Problem. Über Auschwitz wurde bis dahin nicht gesprochen", so Kalb vor zahlreichen Gästen im Alten Amtsgericht.

Authentisch und ohne Pathos berichtete er von seinen damaligen Eindrücken und der enormen psychischen Belastung der Zeugen, von denen die meisten mit großen Vorbehalten und Ängsten nach Deutschland gekommen waren. Als freiwilliger Betreuer kümmert sich Kalb während der Verhandlungsdauer um den Aufenthalt der Zeugen, die aus 19 Ländern angereist kommen.

Er holt sie vom Flughafen ab, begleitet sie ins Hotel und kommt mit ihnen ins Gespräch. Der junge Student kann unbefangen mit den Opfern reden, hört ihre Erlebnisse aus dem KZ und die persönlichen Schicksale der Überlebenden. Eine psychologische oder seelsorgerische Hilfe blieb sowohl den Zeugen als auch den Betreuern versagt. "Heute undenkbar", wie Kalb in Zwingenberg betont.

Zu seinen Kollegen im Betreuungsteam gehörte auch Emmi Bonhoeffer, eine Schwägerin von Dietrich Bonhoeffer. Ihre Briefe aus dieser Zeit sind später veröffentlicht worden.

Durch seine Mitarbeit im Umfeld des Prozesses hat Peter E. Kalb etliche Kontakte zu Zeugen und Mitarbeitern geknüpft, die noch viele Jahre angedauert haben. Mit Stanislav Kaminski aus Warschau war Kalb viele Jahre eng befreundet. Im Gallus-Haus begegnet der ehemalige NS-Häftling seiner schrecklichen Vergangenheit in Person der Witwe Rudolf Höß: Sie steht gemeinsam mit Kaminski und Kalb im Aufzug. "Er zitterte und konnte sich kaum auf den Beinen halten", erinnert sich Kalb. Bei einer früheren Begegnung hatte die Frau des Lagerkommandanten dem Gefangenen gesagt, falls er nicht gehorche, komme er "in den Kamin". Der ehemalige Häftling Hermann Langbein brachte die Gefühle der Opfer auf den Punkt:

"Jeder Einzelne in Auschwitz ist seinen eigenen, schweren Tod gestorben." Langbein sprach von einem insgesamt "korrekten Prozess", bei dem die persönliche Situation der Zeugen in der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen wurde. Für die junge Generation der Deutschen sei die Verhandlung ein wichtiges Signal für die Zukunft.

Ergänzt wurde der Vortrag von einer Einführung durch den Vorsitzenden des Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, Dr. Fritz Kilthau, der über den Komplex Auschwitz und die Schicksale von Zwingenberger Juden sprach.

Bergsträßer Anzeiger
02. Februar 2009

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