10 Jahre "Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge"

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 6. Oktober 2009

Ambitionierte Arbeit gegen das Vergessen
Jubiläum:
Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge seit zehn Jahren aktiv

Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Zwingenberg. Lokalgeschichte zum Anfassen, Lernen und Verstehen: Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge ist zehn Jahre alt. Am Freitag wurde das Jubiläum im Katholischen Pfarrzentrum gefeiert. Der Vorsitzende Dr. Fritz Kilthau begrüßte zahlreiche Mitglieder, Freunde und Unterstützer des gemeinnützigen Vereins, der sich um den Erhalt der ehemaligen Synagoge in der Wiesenstraße kümmert und langfristig eine neue Nutzung des Gebäudes mit kulturellen und pädagogischen Veranstaltungen anstrebt.

Im Gespräch mit Ehren-Bürgermeister Kurt Knapp und dem amtierenden Rathauschef Dr. Holger Habich fragte die zweite Vorsitzende Dr. Claudia Becker nach dem gesellschaftlichen Wert des Vereins im Sinne einer lokalhistorischen Aufarbeitung der Vergangenheit. "Das Gebäude ist heute weitaus stärker im Bewusstsein der Leute verankert als damals", sagte Knapp, der bis heute selbst im Vorstand mitarbeitet. Der Ehrenbürgermeister ist überzeugt, dass die Bekanntheit der denkmalgeschützten Synagoge ohne den Arbeitskreis um ein vielfaches geringer wäre. Bei seinem ersten Besuch in dem als Wohnhaus genutzten Anwesen sei er "schockiert" gewesen über den Zustand des 1903 erbauten Gebäudes, dessen ursprünglicher Charakter als jüdisches Gotteshaus baulich weitgehend verwässert wurde. Es sei in erster Linie das Verdienst von Dr. Fritz Kilthau gewesen, der die Biografie der Synagoge erforscht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe.

Kilthau, studierter Chemiker, ist ein versierter Lokalhistoriker und erfolgreicher Spurensucher von verschütteten Ereignissen und verästelten menschlichen Konstellationen. "Er hat einfach hervorragende Arbeit geleistet", so Knapps bündiger Kommentar. "Enttäuscht" sei er indes von der politischen Wackligkeit gewesen, die in der Stadtverordnetenversammlung zu Tage getreten war, als es um die Mitgliedschaft der Stadt im Synagogenverein ging. Kurzerhand hat der Magistrat solo entschieden - für Knapp nach wie vor eine korrekte und richtige Entscheidung, die von den Anwesenden am Freitag rückwirkend mit Applaus kommentiert wurde.

Auch der amtierende Rathauschef lobt den Verein und dessen ambitionierte Zielsetzung. Holger Habich befürwortete das Konzept eines Migrations-Museums, in dem Geschichte greifbar und konkret nacherzählt werden könne. Der Arbeitskreis sei längst zu einem festen Bestandteil des Zwingenberger Lebens geworden und gleichermaßen ein Alleinstellungsmerkmal die lokale Erinnerungskultur betreffend. "Ich hoffe, dass sie den eingeschlagenen Weg fortsetzen", so Habich in Richtung Vorstand, der am Freitag geschlossen vertreten war. Neben dem zweiten Vorsitzenden und Kilthaus Vorgänger Hanns Werner saßen auch die Vorstandsmitglieder Wolfgang Becker, Pia Knaup, Roswitha Zwecker, Pfarrer Bernhard Dienst, Heinz Frassine und Pfarrer Äneas Opitek im Publikum.

Für die wunderbare Musik im Gemeindezentrum sorgten die Klezmer-Königin Irith Gabriely an der Klarinette und Peter Przystaniak am Piano. In der Pause überraschte der Verein seine Gäste mit einem orientalischen Büffet, das zeigte: Die kulinarischen Fähigkeiten des Vorstands würden mehr als ausreichen, um dem Arbeitskreis im Falle knapper Finanzmittel eine weitere Einkommensquelle zu ermöglichen.

Bergsträßer Anzeiger
06. Oktober 2009

Lokalhistorisch, kulturaktiv, aufklärerisch

Seit seiner Gründung 1999 hat der Verein mit einer Vielzahl kultureller Veranstaltungen zum toleranten Miteinander und zur Verständigung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen beigetragen. Wesentlicher Ansatz ist die Aufklärung über die Ursachen des Nationalsozialismus, von Fremdenhass und Antisemitismus. Durch etliche Publikationen zur lokalen Geschichte der NS-Zeit wird das Thema in eine breite Öffentlichkeit getragen. Von der jüngsten Broschüre "Als die Synagogen brannten" (2008) sind bereits über 800 Exemplare verkauft.

Auch an den Bergsträßer Schulen werden die Hefte fundiertes Informationsmaterial genutzt. "Mitten unter uns" heißt ein im Jahr 2000 veröffentlichter Sonderband von Dr. Fritz Kilthau, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, der die Rolle Zwingenbergs von 1933 bis 1945 beleuchtet und gleichsam den Anspruch des Vereins formuliert: Das Verstehen der Vergangenheit im Kontext der lokalen Ereignisse, ohne die Namen der Täter und Opfer zu verschweigen. Der Titel des Heftes ist auch Überschrift eines Vortrags sowie Stadtgangs auf den Spuren der Zwingenberger Juden. Weitere Veranstaltungen sind Führungen über den Alsbacher Judenfriedhof, Besuche der Gedenkstätte Osthofen sowie Konzerte und Bildvorträge.

Der Arbeitskreis nimmt an den Ferienspielen teil und steht in engem Kontakt mit den lokalen Kirchengemeinden sowie befreundeten Synagogenvereinen und Menschenrechtsgruppen. Regelmäßig organisiert der AK Besuche von den Nachfahren ehemaliger jüdischer Zwingenberger.

Den Opfern ein Gesicht geben: 2006 wurde auf Vorschlag vom Arbeitskreis und der GUD die Namenstafel im Rathaushof angebracht. Darauf sind 17 ehemalige Einwohner verewigt, die während der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden. Die Nachfahren der Genannten lobten die Ergänzung der vormaligen anonymen Gedenktafel. Mit der "Zwingenberger Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen" hat der Arbeitskreis eine konsequente Stellungnahme gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in jeder Form ausgesprochen. Das Papier "für Demokratie, Toleranz und Menschenwürde" wurde von der Stadtverordnetenversammlung begrüßt und ist zum Vorbild für ähnliche Resolutionen im gesamten Kreisgebiet geworden: 16 der 22 Bergsträßer Kommunen haben mittlerweile entsprechende Erklärungen verabschiedet. Hintergrund war das öffentliche Auftreten von Neonazis in Zwingenberg im August 2005.

"Migration in Südhessen" ist der Titel einer geplanten Ausstellung, die demnächst in Zwingenberg starten soll. "Wir haben viele Ideen für Veranstaltungen und weitere Publikationen", so Dr. Fritz Kilthau. Der Vorstand wünscht sich indes ein stärkeres Interesse von jüngeren Menschen, die im Verein aktiv werden möchten. tr

Bergsträßer Anzeiger
06. Oktober 2009

Ein Migrations-Museum bleibt das erklärte Ziel

Das geplante Migrations-Museum bleibt im Visier des Arbeitskreises. Wie Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung betonte, werde der Verein weiterhin eine angemessene neue Nutzung der ehemaligen Synagoge verfolgen. Ziel ist und bleibt, das Gebäude zu erhalten und als Gedenkstätte für die Vergangenheit und die Zwingenberger Juden umzuwandeln. Gleichermaßen soll der Blick auf die Zukunft gerichtet werden: das Haus als offene Begegnungsstätte zwischen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen.

"Wir bleiben am Ball", bekräftigte Kilthau das Vereinsziel, das von der Stadtverordnetenversammlung seit April 2008 abgesegnet ist. Auch von Akteuren auf Kreis- und Landesebene werde das Konzept ausnahmslos positiv bewertet, so Kilthau weiter. Beispielsweise wurde vom Hessischen Landesamt für Denkmalpflege für die Renovierung ein Zuschuss von 50 000 Euro in Aussicht gestellt.

Dennoch wollte der Vorsitzende keine falschen Hoffnungen wecken. Die Aussichten auf einen Erwerb des Gebäudes seien auf lange Sicht unrealistisch. Die derzeitigen Eigentumsverhältnisse - das Haus ist in Privatbesitz - lassen in der Tat wenig Raum für Luftschlösser. "In nächster Zukunft ist unser Ziel nicht erreichbar." tr

Bergsträßer Anzeiger
06. Oktober 2009

Brief der Zwingenberger Stadtverordnetenvorsteherin Birgit Heitland vom 2. Oktober 2009 zum 10jährigen Bestehen des Vereins:

Sehr geehrter Herr Dr. Kilthau,
sehr geehrte Damen und Herren des Arbeitskreises,

zu Ihrem 10jährigen Jubiläum gratuliere ich Ihnen sehr herzlich und möchte Ihnen gleichzeitig für Ihre Arbeit und Ihr Engagement danken.
Sie tragen entscheidend dazu bei, dass die Gräueltaten des Nationalsozialismus den Menschen in Erinnerung bleiben und somit auch – insbesondere junge Menschen – durch Ihre Veranstaltungen dazu beitragen, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passieren kann.
Ich wünsche Ihnen auch für die nächsten Jahre eine erfolgreiche Arbeit und vor allem stets Mitstreiter, die sich für den Arbeitskreis engagieren.
In meiner Funktion als Stadtverordnetenvorsteherin kann ich Ihnen in jedem Falle die volle Unterstützung der städtischen Gremien zusagen; zumindest in ideeller Hinsicht. Je nachdem, wie dann die Haushaltslage sein wird, müssen die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden.
Mit Ihrem Nutzungskonzept sind Sie auf dem richtigen Weg, wie ich finde.

Ich freue mich auf weiterhin gute Zusammenarbeit und verbleibe mit herzlichen Grüßen
Ihre Birgit Heitland

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