Vortrag über die ehemaligen Synagogen

In Zwingenberg gab es zwei Synagogen
Bildvortrag am 23. Juni, 19:00 Uhr im Saal des Alten Amtsgerichts

Nicht allzu viele Zwingenberger Bürger wissen, dass das Gebäude in der Wiesenstraße Nr. 5 früher eine Synagoge war – 1903 erbaut und am Tag der Reichspogromnacht im November 1938 an Privat verkauft. Die meisten von ihnen sind allerdings erstaunt, wenn sie erfahren, dass es vor dieser Synagoge bereits ein weiteres jüdisches Gotteshaus in Zwingenberg gab – das Gebäude wurde 1861 durch die jüdische Gemeinde in der Zwingenberger Altstadt, Am großen Berg 2, gekauft. Ein Brand 1902 führte zum Verkauf und der Errichtung der neuen Synagoge.

Der Vorsitzende des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, Dr. Fritz Kilthau, wird am Dienstag, 23. Juni, 19:00 Uhr im Saal des Alten Amtsgerichts mit einem Bildvortrag von den beiden ehemaligen Synagogen berichten. Von der Enkelin des Architekten der letzten Zwingenberger Synagoge, Philipp Schuch, Frau Anneliese Hauck, erhielt er etliche Dokumente zum Bau dieser Synagoge, aber auch handschriftlich verfasste Vorschläge der damaligen jüdischen Gemeinde zur Einweihungsfeier im September 1903. Im Archiv der Stadt Zwingenberg fanden sich weitere interessante Dokumente. Fündig wurde Kilthau auch in den Staatsarchiven Darmstadt und Wiesbaden, den Stadtarchiven von Offenbach und Darmstadt, aber auch in alten jüdischen Zeitungen – vieles hiervon wird gezeigt.

Die architektonische Gliederung der Synagoge - der Sakralteil mit Frauenempore, Lehrerwohnung u.a. – wird vorgestellt, aber auch die jüdischen Schmuckelemente und Symbole, die zum Teil noch heute im und außerhalb des Gebäudes zu sehen sind, werden erläutert.

Nicht ausgespart werden die Vorgänge in und nach der NS-Zeit: In der Reichspogromnacht am 10. November 1938 wurde die Synagoge zwar beschädigt, aber nicht zerstört. Einen Tag später berichtete das Bergsträßer Anzeigeblatt vom Verkauf an Privat. Nach dem Krieg wurde die Synagoge zunächst von der amerikanischen Militärregierung beaufsichtigt und schließlich wurden die Eigentumsrechte an die JRSO (Jewish Restitution Successor Organisation) übertragen; die Aufgaben dieser Organisation werden in dem Vortrag gleichfalls erläutert. Die früheren Besitzer konnten die Synagoge danach wieder erwerben, wurden aber auch für den Kauf 1938 entschädigt. Leider wurden 1964 an der Fassade der Synagoge gravierende Veränderungen vorgenommen, die vieles von dem ursprünglichen Aussehen zerstörten. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz.

Ein Teil der gezeigten Dokumente ist in der 2014 herausgegebenen Broschüre „Zur Geschichte der Synagogen von Zwingenberg an der Bergstraße“ abgedruckt, die nach dem Vortrag erworben werden kann. In seinem Vorwort schreibt Kilthau über die ehemalige letzte Zwingenberger Synagoge und drei weitere noch erhaltene Synagogen-Gebäude im Kreis Bergstraße: „Den jüdischen Nachfahren sind sie heute wichtiger Ort der Erinnerung an ihre verfolgten und ermordeten Vorfahren, für uns Nichtjuden hoffentlich ein Mahnmal für die Gräueltaten der Nationalsozialisten an den jüdischen Bürgern unserer Gemeinden.“

i Vortrag „Zur Geschichte der Synagogen von Zwingenberg an der Bergstraße“
Dienstag, 23. Juni, 19:00 Uhr, Saal des Alten Amtsgerichts
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 29. Juni 2015

Nach einem Brand erfolgte der Neubau
Vortrag: Die erste Zwingenberger Synagoge stand am großen Berg, die zweite dann an der Wiesenstraße

Zwingenberg. In einem interessanten Bildvortrag berichtete Dr. Fritz Kilthau aus der Geschichte der beiden Zwingenberger Synagogen, wie sie auch in einer neuen Publikation des Vereins nachzulesen ist.

Bereits 1861 wurde von der jüdischen Gemeinde, die damals über 70 Mitglieder hatte, die erste Synagoge am alten Rathausplatz (Haus Am großen Berg 2) eröffnet. Bis zur nächsten Synagoge nach Alsbach war es weit und ab 1858 wurde der Wunsch formuliert, eine eigene Zwingenberger Religionsgemeinde zu gründen.

Bei einem Brand am Jom-Kippur-Tag, dem 11. Oktober 1902, wurde das Haus schwer beschädigt und man entschloss sich zur Errichtung einer neuen Synagoge an der Wiesenstraße Nummer 5. Baubeginn war im April 1903. Unter der Federführung vom Vorsitzenden der Gemeinde, David Wachenheimer, wurde der Bau rasch vollendet. Ausführender Architekt war der Zwingenberger Philipp Schuch. Am 11. September wurde das Gebäude eingeweiht.

Die Synagoge ist in einen Sakralteil mit Thoraschrein und Frauenempore sowie einen Wohntrakt aufgeteilt. Dort lebten die jüdischen Lehrer und die sogenannte Schawesgoi, eine nicht-jüdische Bedienstete. Eine Mikwe (rituelles Tauchbad) lässt sich laut eines Gutachtens von Architekt und Gründungsmitglied Heinz Frassine nicht nachweisen. Offenbar nutzten die Zwingenberger auch nach dem Neubau die Mikwe im benachbarten Alsbach, so Kilthau.

Der Davidstern und das Misrach(Osten)-Fenster sind die einzigen Merkmale, die bis heute auf die frühere Nutzung des Gebäudes hinweisen. Auch die geschmiedete Menora im Eingangstor verweist auf die Ursprünge der Synagoge, die am Tag der Reichspogrome im Jahr 1938 zwar beschädigt, nicht aber zerstört wurde: Die Nachbarn hatten Angst um ihre eigenen Gebäude. Außerdem war zu diesem Zeitpunkt der kurz zuvor verstorbene Sohn der Schawesgoi in der Wohnung seiner Mutter aufgebahrt.

Am 11. November, nur ein Tag nach den Pogromen, wurde der Verkauf der Synagoge für 6000 Reichsmark "an Privat" in der Lokalpresse bekanntgegeben. Die Wohnungen wurden genutzt, der ehemalige Sakralteil diente als Lagerhalle und später als Schuhfabrik.

Nach 1945 ging die Synagoge in den Besitz der Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) über. Die bisherigen Eigentümer hatten Vorkaufrecht und erwarben das Gebäude ein zweites Mal. Nach 1964 wurden an der bis dahin noch original erhaltenen Fassade erhebliche Veränderungen vorgenommen, so dass sich das Gesicht der Synagoge völlig verändert hat.

Im Gebäudeinneren gibt es noch einige Spuren: Etwa der Umriss des ultramarin bemalten Thoraschreins mit den goldenen Sternen, das Tonnengewölbe des Synagogenraums und die Frauenempore mit jugendstilartig geschwungener Brüstung. Seit 1988 steht die ehemalige Synagoge unter Denkmalschutz. 1999 gründete sich der Arbeitskreis. tr

© Bergsträßer Anzeiger, Montag, 29.06.2015
zurück