Auschwitz-Gedenktag 2015

Erinnerung an die Auschwitz-Befreiung
Gedenkandacht: Am 27. Januar ab 19.30 Uhr im Gemeindehaus

Zwingenberg. Die evangelische Kirchengemeinde, die katholische Pfarrei Mariae Himmelfahrt und der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge laden für den 27. Januar, Dienstag, zu einer ökumenischen Gedenkandacht anlässlich des Auschwitz-Gedenktages ein. Veranstaltungsort ist ab 19.30 Uhr das Gemeindehaus der Protestanten (Darmstädter Straße 22). Hanns Werner schreibt dazu:
"Vor 70 Jahren - am 27. Januar 1945 - wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Im Jahr 1996 rief der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Gedenktag aus. Jedes Jahr soll dieser Tag "dem Gedenken an die Opfer der Ideologie vom nordischen Herrenmenschen und von den Untermenschen und ihrem fehlenden Existenzrecht dienen", erklärte Bundespräsident Herzog."

Die ökumenische Gedenkandacht wird von Dr. Harald Becker, Mitglied des katholischen Pfarrgemeinderats, eröffnet. Danach wird Pfarrer Tillmann Pape, Leiter des Arbeitskreises "Kirche und Israel" im evangelischen Dekanat Bergstraße, zum Thema referieren. Die evangelische Kirchengemeinde wird den Abschlusssegen erteilen.
Der Kirchenchor der evangelischen Kirchengemeinde unter Leitung von Wolfgang Vetter wird die ökumenische Gedenkandacht musikalisch gestalten.

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 29. Januar 2015

Ohne Judentum keine christliche Identität
Ökumenische Gedenkandacht: Zwingenberger Kirchengemeinden und der Arbeitskreis Synagoge erinnern gemeinsam an die Befreiung von Auschwitz

Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Zwingenberg. Mit einer ökumenischen Gedenkandacht haben die Zwingenberger Kirchengemeinden und der AK Synagoge am Dienstag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Am 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz rief Pfarrer Tilman Pape vom evangelischen Dekanat Bergstraße dazu auf, den christlich-jüdischen Dialog intensiv weiter zu führen: "Es gibt keine christliche Identität ohne das Judentum."

Eine Schande
Pape ist Pfarrer für Ökumene und Mission im Heppenheimer Haus der Kirche. In Zwingenberg äußerte er sich besorgt über einen neuen Antisemitismus und judenfeindliche Parolen in Deutschland und Europa. Es sei eine Schande, wenn Synagogen und jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz gestellt werden müssten. Der Holocaust und sechs Millionen ermordete Juden auf deutschem Boden sei ein Erbe, das eine Annäherung der Religionen anmahne.
Allein im Konzentrationslager Auschwitz, das am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde, haben die Nazis 1,1 Millionen Menschen systematisch ermordet. Eine Million davon waren Juden. Pape sprach von einem in seinen industriellen Dimensionen historisch beispiellosen Genozid, dem etwa ein Drittel der damaligen jüdischen Bevölkerung zum Opfer fiel.

Christen machten sich mitschuldig
In seiner Rede über die Theologie nach Auschwitz betonte der Pfarrer, dass die Wurzeln des nationalsozialistischen Antisemitismus auch im Antijudaismus der christlichen Kirche zu finden sind. Die Geschichte der antijüdischen Ressentiments ist mehr als 2000 Jahre alt. Die Feindschaft der Christen gegenüber den Juden und ihrer Religion nährte sich aus Furcht, Unwissen und falschen Verdächtigungen.
Während des Mittelalters verschärfte sich der Ton: Christen hetzten offen gegen Juden, und die Bevölkerung ließ sich leicht manipulieren. Die Vorwürfe und Verdächtigungen dienten zur Stärkung der eigenen Religion. Im 15. Jahrhundert nahm die Judenverfolgung durch das Gesetz der "Reinheit des Blutes" eine neue Dimension an, an der auch der Reformator Martin Luther einen großen Anteil hatte:
Seine Schmähschriften von 1540, in denen er die Juden als Volk der Lügner bezeichnete und deren Ausrottung forderte, hatten enormen Einfluss auf die Entwicklung des späteren Antisemitismus. Luther sprach von "Plage" und "Pestilenz", von "Parasiten" und "Verschwörern".
Das NS-Regime habe sich konkret auf Luther bezogen, so Tilman Pape: "Die Blutspur der Geschichte gipfelt im Holocaust." Hitler konnte mit seinem Rassenantisemitismus nahtlos an den theologischen Antijudaismus anschließen und sich auf die historische Hetze der Kirchen beziehen, so der Theologe. Im Kontext von 500 Jahren Reformation (2017) hat sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau von den judenfeindlichen Spätschriften Luthers distanziert.
Die Haltung des Reformators zum zeitgenössischen Judentum des 16. Jahrhunderts sei nicht vereinbar mit dem heutigen Bekenntnis der EKHN. Dennoch müsse man anerkennen, dass der Holocaust durch die christliche Judenfeindlichkeit in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Pape zitierte den Kirchengeschichtler Karl Kupisch, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg formuliert hatte: "Wir leben in Europa auf den Leichen ermordeter Juden." Der Publizist und Holocaust-Überlebende sagte, dass in Auschwitz nicht das jüdische Volk, sondern das klassische Christentum gestorben sei.
"Die evangelische Kirche war unfähig zum Dialog", so Tilman Pape. Dies habe sich geändert - habe sich verändern müssen. Die Theodizee-Frage (Rechtfertigung Gottes) habe die Theologie nach Auschwitz nicht unwesentlich geprägt: Wo war Gott, als in den Todeslagern Menschen ermordet wurden? "Das Wirken Gottes braucht ein Mitwirken der Menschen", so Pape. In Auschwitz habe Gott nicht eingegriffen, weil er es nicht konnte, so der Pfarrer zur Frage nach einem allmächtigen Gott.
Der christlich-jüdische Dialog sei auch eine Konsequenz des Holocaust, so Tilman Pape. Die Kirche habe ihre Wurzeln neu entdeckt. Nach Auschwitz könne die christliche Theologie nicht mehr die alte sein. Eine Annäherung sei nach der Shoa aber nötiger denn je.

Zur Gedenkandacht eingeladen hatten die evangelische und die katholische Kirchengemeinde Zwingenberg sowie der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom evangelischen Kirchenchor und dem Projektchor des Theaters Mobile unter der Leitung von Wolfgang Vetter. Die Sängerinnen und Sänger brachten vertonte Werke von Paul Celan, Jochen Esper und Pavel Friedman ("Der Schmetterling") zu Gehör. Der tschechische Lyriker starb 1944 in Auschwitz.

© Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 29.01.2015

Wachsam sein und Widerstand leisten
Holocaust-Gedenktag: Bewegende Erinnerung an Graf von Moltke

Zwingenberg. "Heute ist auch ein Tag zum Widersprechen", sagte Dr. Harald Becker im Rahmen der Gedenkveranstaltung aus Anlass des 70. Jahrestags des Befreiung des KZ Auschwitz. Wer den Holocaust leugne oder ihn auch nur anzweifle, der verletze nicht nur die Würde der Opfer, sondern erweise sich auch als unfähig, mit ihnen mitzufühlen und zu trauern.
Becker ist Mitglied im Pfarrgemeinderat der katholischen Pfarrei Mariae Himmelfahrt und betonte, dass es gerade heute darauf ankomme, gegenüber allen fremdenfeindlichen und rassistischen Tendenzen wachsam zu sein. Im Gemeindehaus verzichtete er auf weitere Ausführungen und ließ statt dessen einen Zeitzeugen zu Wort kommen: Helmuth James Graf von Moltke war ein deutscher Jurist, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Begründer der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis. Kreisau liegt im polnischen Kreis Schweidnitz/Swidnica, der mit dem Landkreis Bergstraße partnerschaftlich verbunden ist.
"Seitdem der Nationalsozialismus zur Macht gekommen ist, habe ich mich bemüht, seine Folgen für seine Opfer zu mildern und einer Wandlung den Weg zu bereiten", schrieb Moltke 1944 in einem Brief an seine Kinder. Im Januar 1944 wurde er verhaftet, die Korrespondenz mit seiner Frau Freya spiegeln Moltkes politische Überzeugung und seine Vorbereitung auf den Tod. Im Prozess vom 9. bis 11. Januar 1945 verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Am 23. Januar wurde er Berlin-Plötzensee ermordet.
Erst Anfang 2010 wurde bekannt, dass der Briefwechsel aus den letzten Wochen vor seiner Hinrichtung komplett erhalten ist. Ein bewegendes Zeugnis einer großen Liebe in Zeiten des Widerstands gegen ein unmenschliches Regime. "Ich habe keine Furcht vor dem Tod, und ich habe animalische Angst vor dem Sterben", schrieb Moltke. Er hatte jeden Brief als seinen letzten angesehen. Die letzten Zeilen seiner Frau Freya enden abrupt, als sie in diesem Moment die die Nachricht vom Tode ihres Mannes erhält. tr

© Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 29.01.2015
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