"Die Feuerprobe" mit Salim Alafenisch

„Die Feuerprobe“ - Salim Alafenisch erzählt eine fesselnde Geschichte aus dem Beduinenzelt

Bereits während der Zwingenberger Ferienspiele 2003 hat der bekannte israelisch-palästinensische Schriftsteller Salim Alafenisch nicht nur die Jugendlichen mit seinen orientalischen „Geschichten aus dem Beduinenzelt“ begeistert, auch 2004 traf er mit seinen Erzählungen für Erwachsene den Geschmack der Zuhörer. Der Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ und die Stadtbücherei Zwingenberg haben jetzt Salim Alafenisch erneut zu einer Lesung eingeladen – diesmal mit einer fesselnden Geschichte zur Rechtsprechung der Beduinen der Negev-Wüste, der „Feuerprobe“, die er selbst miterlebt hat: In der Nachbarsippe von Salim Alafenischs Stamm wird eines Nachts ein Mann ermordet. Sein Stamm wird nun beschuldigt, die Mörder gesehen zu haben oder sie zu kennen. Als alle Vermittlungsbemühungen scheitern, willigt Alafenischs Vater, der Scheich des Stammes, in die radikalste Wahrheitsprobe ein, die das uralte Recht der Beduinen kennt: die Feuerprobe. Wenn sein ältester Sohn diese besteht, gilt der Stamm als unschuldig. Wenn er sie nicht besteht, müssen vier Männer zur Sühne sterben. Der Fall zog sich über viele Jahre hin, erst 14 Jahre nach dem Mord konnte die Feuerprobe bei einem ägyptischen Feuerprobenrichter vollzogen werden. Was sie beinhaltet und wie sie ausging, wird hier nicht verraten.

Die „Jüdische Zeitung“ schreibt treffend: “Alafenisch lässt eine Welt auferstehen, die dem westlichen Leser fremd erscheint, ihn aber durch ihren Reichtum an lebenspraktischer Weisheit und mit ihrem hochkultivierten Sinn für Gerechtigkeit gleichzeitig anzieht.“

Der Schriftsteller und Erzähler Salim Alafenisch wurde 1948 als Sohn eines nomadischen Beduinenscheichs in der Negev-Wüste geboren. Als Kind hütete er die Kamele seines Vaters. „Die Welt meiner Kindheit und Jugendzeit war das Zelt“, erinnert sich Alafenisch. So ist es nicht verwunderlich, dass sich viele seiner Geschichten - frei und lebendig erzählt - auf diesen Lebensbereich beziehen. Im Scheichzelt seines Vaters wurden die Gäste mit gewürztem Kaffee bewirtet, es wurden viele Geschichten erzählt und es wurde Recht gesprochen. Dort nahm Salim Alafenisch die Traditionen seines Stammes in sich auf. Er bekam erst mit 14 Jahren die Möglichkeit, in einer Schule Lesen und Schreiben zu lernen. Nach dem Abitur in Nazareth studierte er in London und Heidelberg Soziologie, Ethnologie und Psychologie. Heute ist er freier Schriftsteller, lebt in Heidelberg und ist viel gefragter Märchen- und Geschichtenerzähler. Salam Alafenischs Erzählungen sind verzaubernd und betörend, man glaubt die orientalischen Gerüche wahrzunehmen. Das Publikum wird nicht nur in eine fremdländische Welt entführt, sondern erfährt auch vieles über Sitten und Gebräuche der orientalischen Völker. “Vorurteile stammen aus Unkenntnis" kommentiert Alafenisch. Und so sieht er es als seine Aufgabe, mit seinen Geschichten und in seinen Vorträgen vor Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gegen diese Unkenntnis anzugehen und damit einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten. In Ergänzung hierzu sieht er es als wichtige Aufgabe, den Angehörigen seiner noch im Negev lebenden Sippe vom Leben hierzulande zu erzählen.
Politik spielt für Alafenisch eine bedeutende Rolle, wurde er doch im Jahr der Gründung des Staates Israel als Palästinenser in dieser stets umkämpften Region geboren. Toleranz, Verständigung und Gerechtigkeitssinn sind traditionelle Werte, die in seinen Büchern und Erzählungen zum Ausdruck kommen, und die Alafenisch als Schlüssel zur Friedensbildung im Nahen Osten sieht. Salim Alafenisch votiert für den Dialog und das bessere Kennenlernen, für eine Überwindung des Trennenden. "Ich sehe nicht die Zukunft der Menschen in Grenzen, sondern in der Grenzöffnung."

„Die Feuerprobe“ mit dem Autor und Erzähler Salim Alafenisch
Mittwoch, 15. Oktober 2014, 19:30 Uhr
Stadtbücherei Zwingenberg, Obergasse 2
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge und Stadtbücherei Zwingenberg

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 18. Oktober 2014

Der Orient hielt Einzug in die Bücherei
Lesung: Schriftsteller und Erzähler Salim Alafenisch faszinierte Publikum auf Einladung von AK Synagoge und Stadtbibliothek mit „Die Feuerprobe“

Von unserer Mitarbeiterin Monika Hälker

Zwingenberg. Der Schriftsteller Salim Alafenisch ist auch ein begnadeter Erzähler, der ferne Welten und Kulturen spürbar nah an seine Zuhörer heranträgt. Selbst zum Leben der nomadischen Beduinendörfer, zu ihren aus westlicher Perspektive durchaus befremdlichen Sitten und Gebräuchen, schafft er Zugänge. In der intimen Atmosphäre der Stadtbücherei ging ein Publikum, das in drangvoller Enge seiner "Lesung" aus dem Roman "Die Feuerprobe" lauschte, auf Tuchfühlung zum Orient.
Salim Alafenisch war in Zwingenberg bereits mehrfach zu Gast. Er zauberte orientalische Atmosphäre mit Geschichten aus dem Beduinenzelt. Als er jetzt auf Einladung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge und der Stadtbücherei las, spielte sich die Handlung erneut bei den nomadischen Bewohnern in der israelischen Wüste Negev ab.

Wahre Begebenheit
Doch diesmal schrieb er über eine wahre Begebenheit aus seinen Kindertagen: die Feuerprobe. Sie scheint offensichtlich ein durchaus probates Mittel in der Rechtsprechung jener Zeit gewesen zu sein. Wer dreimal mit seiner Zunge über glühendes Eisen streift und keine Brandblasen hat, gilt in dem vorher definierten Fall als unschuldig. Andernfalls droht der Tod. Salim Alafenisch musste diese Tortur als junger Bursche über sich ergehen lassen. Ein derartiges Vorgehen mutet nach willkürlichen Strafexpeditionen wie im Mittelalter an. Dem Autor gelingt es, die kulturelle Klammer ein wenig zu schließen. Er zeigte das Leben im Beduinendorf auf, in dem sein Vater als Scheich das Sagen hatte.
Man hatte einen Ermordeten in der Nähe von Be'er Sheva entdeckt, wo zu der Zeit gerade sein Dorf das Lager aufgebaut hatte. Der Tote stammte aus einem benachbarten Clan. Die israelische Polizei konnte die Täter nicht ermitteln, stellte aber deren Flucht nach Jordanien fest. Trotz der Entkräftung blieb ein Vorwurf gegen den Alafenisch-Clan erhalten: Dass niemand etwas gesehen haben wollte, konnte der Kläger nicht begreifen. Es folgten Untersuchungshaft und Verhöre. Selbst der Lügendetektor kam zum Einsatz. Die israelischen Behörden stellten daraufhin das Verfahren mangels Beweisen ein.
Doch der Militärgouverneur nutzte die Ausnahmesituation und schickte sechs Männer in die Verbannung, was nach hiesigem Rechtsempfinden wie blanke Willkür anmutet. Das Leben im Exil nahm sein Vater als Stammesoberhaupt selbstverständlich auf sich - mit allen ökonomischen Folgen für die Familie. So konnte er seinem Sohn Salim über eine lange Zeitspanne hinweg den Besuch der Schule nicht mehr finanzieren. Den verpassten Lernstoff holte der eifrige Schüler durch nächtelanges Büffeln wieder auf. Er schaffte nach der achten Klasse gar einen Notenschnitt, der ihm den Besuch des Gymnasiums in Nazareth ermöglichte.
Salim Alafenisch war schon längst als Student in der westlichen Welt unterwegs, als der Klägerclan allen Schlichtungsversuchen zum Trotz die Feuerprobe forderte, die die höchste Gerichtsinstanz der Beduinen war. Beide Parteien reisten zum Richter nach Ägypten, der die grausame Zeremonie begutachtete. Ihr unterzogen sich Salim Alafenisch, zwei seiner Brüder und sein Cousin. Das Ergebnis fiel für den Alafenisch-Clan positiv aus. Er konnte sich nach der Prozedur von allen Vorwürfen reinwaschen.
Salim Alafenisch reiste mehrfach an den Ort des auch für ihn zweifelhaften Geschehens zurück, das über 40 Jahre zurückliegt. Und immer wieder traf er Männer an, die sich der Prozedur unterzogen. Er habe Akten von 1400 Fällen gesammelt, in denen zu 80 Prozent die Feuerprobe von einer Schuld freisprach. So archaisch eine Justiz ohne Paragraphen anmutet: Sie blieb auch in der westlichen Kultur keine Ausnahme.

Der Autor Alafenisch zeigte auf, dass gerade Feuer in der Rechtsprechung vieler Kulturen eine Rolle gespielt habe. Er verwies auf Werner Bergengruens Novellen "Die Feuerprobe" und "Das Netz". Und auf die Pflugscharprobe der Heiligen Kunigunde, die zum Beweis ihrer ehelichen Treue über glühende Pflugscharen schritt.
Salim Alafenisch band das juristische Mittel der Feuerprobe in eine Schilderung des Beduinenlebens ein. Statt einer paradiesischen Idylle in der Weite der Wüste schilderte er die Auswirkungen der damals einbrechenden Technik und Politik: Traktoren begannen, die Arbeitsweise zu bestimmen. Und die Anschläge kurz nach der Gründung der palästinensischen Fatah drangen bis in die Region der Beduinen vor, in der nun das israelische Militär aufmarschierte.

Zweifel an der Wahrheitsfindung
Der Autor erzählte, dass seit Jahren diese Geschichte aus den Kindertagen unter seinen Nägeln brennt. Mit einer Veröffentlichung habe er bewusst ausgeharrt, bis alle beteiligten Personen bereits verstorben waren. Er selbst lebte in jener Zeit schon als Heidelberger Student im Zweispalt der Kulturen und stellte - anders als sein Bruder und seine Cousins - in Frage, dass eine Feuerprobe der Wahrheitsfindung dienen könne.

© Bergsträßer Anzeiger, Samstag, 18.10.2014
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