"Jud Süß"
„Jud Süß“ – ein herausragendes Beispiel nationalsozialistischer Propaganda
Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge zeigt am 29.Oktober den antisemitischen Film mit Erläuterungen
Ab 1933 veranlasste der „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ Joseph Goebbels, dass ein Großteil des deutschen Volkes massiv durch Rundfunk, Presse und Film im Sinne des Nationalsozialismus beeinflusst wurde. Hierzu gehörte natürlich auch die Diffamierung der verhassten jüdischen Bevölkerung.
Ein herausragendes Beispiel hierfür liefert der 1940 erstellte Film „Jud Süß“: Basierend auf der historischen Person des Joseph Süß Oppenheimer (1698 – 1738), dem jüdischen Finanzberater des württembergischen Herzogs Karl Alexander, entstand ein antisemitischer Hetzfilm, in dem durch massive Veränderungen an der historischen Überlieferung den Juden allgemein alle antisemitischen Stereotypen wie Geldgier, Feigheit, gemeine Hinterlist, sexuelle Übergriffe auf arische Frauen und Ausbeutung des nichtjüdischen Volksteils angedichtet werden. Oppenheimer wird in diesem Film nicht nur persönliche Bereicherung im Amt vorgeworfen, sondern man zeigt ihn auch als Erpresser und Vergewaltiger einer „arisch“ aussehenden Frau. Als sein Mentor, der Herzog, plötzlich stirbt, macht man ihm den Prozess und hängt ihn. Am Filmende wird eine Proklamation verlesen: “Alle Juden haben innerhalb dreier Tage Württemberg zu verlassen. Für ganz Württemberg gilt hiermit der Judenbann! ... Mögen unsere Nachfahren an diesem Gesetz ehern festhalten, auf dass ihnen viel Leid erspart bleibe an ihrem Gut und Leben und an dem Blut ihrer Kinder und Kindeskinder!“ Die vorgebliche Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer wird als Kronzeuge für die Rechtmäßigkeit des NS-Gesetzes „zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verwendet – Vertreibung und Ermordung der Juden sind die logische Fortsetzung.
Berühmte und beliebte Filmdarsteller wie Ferdinand Marian, Heinrich George, Werner Kraus und Kristina Söderbaum, aber auch der in Zwingenberg geborene Theodor Loos sorgten dafür, dass dieser „historische Unterhaltungsfilm“, der mit großer technischer Raffinesse und dem Einsatz modernster filmischer Mittel gedreht wurde, enormen Zulauf hatte: Bis 1943 sahen in Deutschland über 20 Millionen Menschen den Film. Auf Befehl Himmlers mussten sich auch SS-Einheiten, Polizei und KZ-Wachmannschaften diesen Film ansehen. Die gewünschte Wirkung des Films blieb nicht aus; so kam es z.B. in Berlin während der Aufführung zu Ausrufen wie „Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den letzten Juden aus Deutschland!“.
Goebbels schrieb in seinen Tagbüchern über diesen Film: „Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können.“ Es wurde ein Film, der die NS-Propaganda nicht platt transportiert, sondern der sehr subtil auf die Zuschauer einwirkt – ganz nach den Vorstellungen Goebbels: „Der Film hat heute eine staatspolitische Funktion zu versehen. Er ist ein Erziehungsmittel des Volkes. Dieses Erziehungsmittel gehört – ob offen oder getarnt, ist dabei ganz gleichgültig - in die Hände der Staatsführung…..Der Film appelliert nicht an den Verstand, nicht an die Vernunft, sondern an den Instinkt.“ Der Film trug 1940 dazu bei, dass die antisemitische Einstellung in der Bevölkerung verstärkt wurde; für uns heute ist interessant zu erkennen, mit welchen Mitteln die NS-Propaganda arbeitete.
Am Dienstag, 29. Oktober 2013, 19:00 Uhr wird der Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ den Film "Jud Süß" im Saal des Alten Amtsgerichts Zwingenberg vorführen. Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur wird in den Film einführen und die abschließende Diskussion leiten.
Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 1. November 2013
Eine äußerst lehrreiche Geschichtsstunde
Arbeitskreis Synagoge: Filmkritiker Horst Walther kommentiert den antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“
Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch
Zwingenberg. Eine Filmvorführung als Geschichtsstunde? Mehr als das: Die Präsentation des antisemitischen Hetzfilms "Jud Süß" war ein Seminar über die Kunst der Verführung und Manipulation der Massen unter dem Deckmantel der Filmkultur. Begleitet wurde die Vorführung von den Erläuterungen des Filmkritikers Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur. Eine notwendige Zutat. Er erklärte dem Publikum, wie der Film funktioniert. Das Institut mit Sitz in Köln versteht sich als Vermittler von Medienkompetenz.
Das ist auch einer von vielen Ansprüchen, die der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge mit dieser Veranstaltung erfüllen wollte. Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau und der Verein hatten sich intensiv darum bemüht, dass der verbotene Film öffentlich gezeigt und - eine Bedingung - kompetent vermittelt werden konnte.
Politisch motivierte Verfälschung
Denn Veit Harlans politisch motivierte Verfälschung einer historischen Figur ist nach wie vor gefährlich. Die bisweilen subtil verpackte Agitation machen den aufwändigsten und modernsten Unterhaltungsfilm der NS-Zeit zum Vorzeigeprodukt einer Spezies. Ab 1940 wurde "Jud Süß" von rund 20 Millionen Menschen gesehen. Zum Vergleich: Einer der erfolgreichsten Filme unserer Zeit, "Titanic", hatte in Deutschland rund 18 Millionen Zuschauer.
"Die Wirkung war enorm", so Walther in Zwingenberg über die Tatsache, dass die Aussagen des Films in den Kontext seiner Zeit gepasst haben. Pressefreiheit und Meinungsvielfalt gab es nicht. Und damit auch keine anderen Perspektiven. Der Film war Teil einer konzertierten Aktion mit Goebbels als Regisseur, unterstreicht der Kritiker. In den Kinos sprangen die Menschen auf und wetterten gegen "die Juden" - eine Reaktion, die der Film vor allem auf emotionaler Ebene geschickt zu manipulieren weiß. Genau das war die Absicht der Auftraggeber: Der Film löst Gefühle aus.
Der Kritiker betont: "Goebbels wollte einen Unterhaltungsfilm." Der Reichspropagandaminister verzichtete auf einen weiteren semidokumentarischen Streifen wie "Der ewige Jude", der in den deutschen Kinos nicht besonders beliebt gewesen war. Er zog kein Publikum. Das war das Schlimmste für die Nazis. Mit Heinrich George, Werner Krauß, Kristina Söderbaum und Ferdinand Marian war "Jud Süß" nicht nur exzellent besetzt, er offenbart auch ein bis heute beachtliches technisches Niveau und einen hohen Unterhaltungswert. Horst Walther bezeichnete ihn als "einen der besten seiner Art".
Schon das Filmplakat mit dem grünen, diabolisch gezeichneten Gesicht von Ferdinand Marian schürt Ängste. Die hochgezogenen Augenbrauen und der stechende Blick wirken bedrohlich. Hier wird, wie Walther erklärt, der Typus des "bösen Juden" nicht als Individuum, sondern als niederträchtige Masse von gefährlichen Untermenschen dargestellt, die sich grundsätzlich Positionen erschleicht, Machthaber ausnutzt und deren Frauen vergewaltigt. Eine latent und akut aggressive Sexualität zieht sich durch die gesamten 90 Minuten.
Erzählt wird der Aufstieg des Juden Süß Oppenheimer am Hof des württembergischen Herzogs (Heinrich George) im 18. Jahrhundert. In Stuttgart schwindelt er sich zum wichtigsten Geld- und Ratgeber des Herzogs empor, nutzt seine Position in allen Bereichen schamlos aus und begeht zahllose Verbrechen. Der Film endet damit, dass Oppenheimer nach dem Tod des Herzogs vor Gericht gestellt und gehängt wird.
Seine Manipulationskraft kollidiert mit dem "gesunden Menschenverstand" des Volks, die dem Teufel die Maske herunter reißt. Es gibt eine Szene am Beginn des Films, in der ein höfisch zurechtgemachter Süß vom aufrechten Schreiber Faber sofort als Jude erkannt wird. Die Botschaft der Nazis: Alle Tarnung nutzt nichts, "der Jude" kann sich nicht verstecken.
Es geht auch subtiler: Der Schauspieler Werner Krauß spielt gleich sechs jüdische Figuren, die allerdings eher wie Karikaturen wirken. Damit betont Harlan, dass verschiedene Charaktere "aus einer gemeinsamen Wurzel" stammen.
Der Film hat diesen Stereotyp überaus kreativ auf die Leinwand gebracht und damit in die Köpfe des Publikums transplantiert. "Jud Süß war ein Mittel gezielter Stimmungsmache, und das bis 1945", so Horst Walther in Zwingenberg.
Der Propagandaminister Goebbels hatte am Drehbuch massiv mitgearbeitet und unmittelbaren Einfluss auf den Regisseur. Am Ende war sein Lob für dieses "Erziehungsmittel des Volkes" grenzenlos ("Ein genialer Wurf"). Der Referent betont: "Goebbels kalte Hand ist spürbar."
Brillante und nachvollziehbare Analyse
Die Analyse des Filmkritikers Horst Walther war fachlich brillant wie plastisch und allgemein nachvollziehbar. Der Film "Jud Süß" spielt geschickt mit bildhaften und musikalischen Kontrastmotiven, er verzahnt eine hohe narrative Qualität mit demagogischen Elementen. Am Ende steht die Warnung vor den Juden über allem, und die "Blutschande" als schlimmstes Verbrechen gegen Volk, Natur und Moral. Die Nürnberger Rassengesetze waren damals kaum fünf Jahre alt.
In der historischen Dramaturgie der Nazis ist der Film perfekt platziert. Und er hat den Menschen suggeriert, dass die Nationalsozialisten die Judenverfolgung nicht erfunden haben, sondern zum Schutz der Bevölkerung lediglich ein uraltes Gesetz fortführen wollen, vor dem schon ihre Vorfahren gewarnt hatten. In der historischen Dramaturgie der Nazis ist der Film perfekt platziert. Und er hat den Menschen suggeriert, dass die Nationalsozialisten die Judenverfolgung nicht erfunden haben, sondern zum Schutz der Bevölkerung lediglich ein uraltes Gesetz fortführen wollen, vor dem schon ihre Vorfahren gewarnt hatten.
In der letzten Szene wird der Jude Süß Oppenheimer gehängt. Es schneit. Ein eisiger Punkt in der deutschen Geschichte. Oder ein Symbol des Neubeginns? Am Ende jedenfalls vollbringt der Film seine größte Leistung, indem er die Realität von 1940 auf den Kopf stellt, wie Horst Walther bemerkt: Der Deutsche müsse Angst vor den Juden haben. In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall.
Der Prozes gegen Regisseur Veit Harlan wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" endet 1949 mit Freispruch.
Filme unter Vorbehalt
Filme wie "Hitlerjunge Quex", "Kolberg" oder "Jud Süß" gelten als Vorbehaltsfilme: Sie dürfen nur mit begleitendem Vortrag öffentlich vorgeführt werden, da sie kriegsverherrlichend, rassistisch und volksverhetzend sind.
Jede Vorführung erfolgt ausschließlich auf Antrag, sie muss von einer historischen Einleitung und kritischen Erörterung begleitet werden.
Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden, die einen Großteil des nationalen Filmerbes von 1920 bis 1960 verwaltet, hat rund 40 Streifen nicht für den offenen Vertrieb freigegeben.
Die Stiftung in der Landeshauptstadt Hessens archiviert, bewahrt, restauriert und rekonstruiert die Filme und kopiert sie auf moderne Medien.
Lebhafte Diskussion
Im Anschluss an die Vorführung des Films "Jud Süß" war genügend Raum zur lebhaften Diskussion. Das Alte Amtsgericht war quasi "ausverkauft". Eine hochinteressante, lehrreiche und wichtige Veranstaltung des Zwingenberger Arbeitskreises Synagoge. tr
Zitat des Tages: "Die Mittel der Propaganda sind mit Goebbels nicht gestorben. Bis heute sind sie ein Strukturmerkmal des Mediums Film." (Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur)
© Bergsträßer Anzeiger, Freitag, 01.11.2013
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