Die Bücherverbrennung 1933

„Die Bücherverbrennung 1933 in Darmstadt und benachbarten Städten“
Gemeinsame Veranstaltung Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. und Stadtbücherei Zwingenberg

Mitte des Jahres 1933, wenige Wochen nachdem die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht gelangt waren, verbannten sie aus ihrem Machtbereich die ihnen missliebigen deutsche SchriftstellerInnen und DichterInnen. Ihre Bücher wurden von den Nazis öffentlich in den Städten verbrannt. Mit dieser öffentlichen Verbrennung der Bücher ging die Ächtung ihrer AutorInnen in ganz Nazi-Deutschland einher. Auch in Darmstadt, der Hauptstadt des damaligen Volksstaates Hessen, wurden die Bücher deutscher SchriftstellerInnen und DichterInnen öffentlich verbrannt.
Aus Anlass der 80. Wiederkehr der im „Land der Dichter und Denker“ kaum vorstellbaren Bücherverbrennungen durch die Nazis laden der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. und die Zwingenberger Stadtbücherei zu einer gemeinsamen Veranstaltung ein. Der Darmstädter Historiker Prof. (em.) Dr. Christof Dipper (TU Darmstadt, Institut für Geschichte) wird im Rahmen der Vortragsreihe „Zwingenberger SpätleseR“ über die Bücherverbrennung von 1933 in Darmstadt und benachbarten Städten berichten.
Die Veranstaltung findet am Mittwoch, 15. Mai 2013, um 19:30 Uhr in der Zwingenberger Stadtbücherei, Obergasse 2, statt.

Den Inhalt seines Vortrags skizziert Herr Prof. Dr. Dipper wie folgt:
„Die Bücherverbrennungen im Frühjahr 1933 standen im Schnittpunkt zweier Bewegungen, einer langfristigen und einer aktuellen. Die langfristige war der in Deutschland besonders scharf ausgeprägte, in den 1890ern beginnende Kulturkampf zwischen Tradition und kultureller Moderne, in dem nach 1918 letztere die Oberhand erlangte. Das steigerte die Heftigkeit der Auseinandersetzungen und es war Hitler persönlich, der die NSDAP auf die Seite der Anhänger einer (banalen) Tradition bzw. Antimoderne brachte und so viele zusätzliche Stimmen aus dem bürgerlichen Lager erhielt. Hitler selber besorgte die Säuberung der Malerei und in gewissem Sinne der Musik, für die Säuberung der Literatur blieb die Zuständigkeit ungeklärt - in diese Lücke stießen die Studenten.
Die aktuelle bestand in der 1933 mindestens latent revolutionären Phase der Machtergreifung, die zu erheblichen Teilen Züge einer Jugendrevolte trug. Die ohnedies seit Jahren mehrheitlich rechts bis rechtsradikal ausgerichteten Studenten (nicht wenige von ihnen in der SA) waren zwischen Korporierten, Völkischen und Nationalsozialisten gespalten, was von März bis Juni 1933 vielerorts zu gesteigerter Gewaltsamkeit führte, weil die studentischen Führer wussten, dass man im Nationalsozialismus nur durch Radikalisierung gewinnen konnte.
Die Bücherverbrennung ist eine von unten in Gang gesetzte Kampagne, die die überraschte Parteiführung aufgriff und zu steuern versuchte (das erklärt Goebbels' Rede in Berlin), mit der die frustrierten Studenten (die personellen Säuberungen gingen ihnen nicht weit genug, die Studienreform kam überhaupt nicht in Gang) ihr politisches Gewicht zu steigern versuchten. Aber gerade weil sie mit der Verbrennung von Büchern im eigenen Milieu verblieben - im wesentlichen ärgerte man sich ja nur dort über die kulturelle Moderne -, verpuffte ihr Aktionismus; eine politische Dividende blieb aus. Spätestens im folgenden Jahr waren sie weniger frei als jemals zuvor.“

i Vortrag von Prof. (em.) Dr. Christof Dipper (TU Darmstadt):
„Die Bücherverbrennung 1933 in Darmstadt und benachbarten Städten“
Mittwoch, 15. Mai 2013, 19:30 Uhr in der Stadtbücherei Zwingenberg, Obergasse 2
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. und Stadtbücherei Zwingenberg

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 23. Mai 2013

Die Werke unliebsamer Autoren „starben den Flammentod“
Von unserer Mitarbeiterin Monika Hälker

Zwingenberg. Wer verbrennt Bücher? Nur wer eine Beziehung zum Lesestoff hat, aber genau weiß, welche Inhalte nicht ins öffentliche Bewusstsein transportiert werden sollten. 1933 - mit der Machtergreifung Hitlers - setzten die nationalsozialistischen Ideologen einen weitreichenden kulturellen Umbau in Gang, der von der Ausmerzung unliebsamer Autoren bis hin zur Entlassung der nicht linientreuen Professoren reichte. Das diktatorische Regime ebnete den Reaktionären im Jahrzehnte währenden Kulturkampf den Boden.
Der Historiker Prof. Dr. Christof Dipper nahm im Rahmen der Reihe "Zwingenberger SpätleseR" die diversen Aktionen zum "Flammentod" der literarischen Werke in Darmstadt und in den umliegenden Studentenstädten unter die Lupe. Die Veranstaltung, die die Stadtbücherei zusammen mit dem Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge zum Gedenken an die Bücherverbrennungen vor 80 Jahren organisiert hatte, stieß bei der jungen wie der älteren Generation auf reges Interesse.

Nährboden vorhanden
Dr. Dipper beschrieb, auf welchen Boden die nationalsozialistische Kulturideologie in Deutschland gestoßen war. Ein Zwölf-Punkte-Programm hatte sich bereits im Vorfeld in den Kreisen der Nazi-Anhänger etabliert. So wollte man gegen Schriften vorgehen, die die "deutsche Volkseele zerstören könnten". Jüdische Publizisten sollten in arabischer Sprache schreiben, das Deutsche nur den Deutschen vorbehalten bleiben. "Der Antisemitismus war ein kultureller Code", schrieb die Soziologin Shulamit Volkov. Sie maß der Judenfeindlichkeit eine instrumentale Funktion zu, um weitreichend gegen Liberalismus und sozialistische Demokraten vorgehen zu können.
"Im Kulturkampf hatte die Ideologie mehr als einen guten Nährboden", so Dr. Ditter. Auf der einen Seite stand die bürgerlich-akademische Hochkultur, die streng nationale Normierungen vorgab. Ihr Credo: Kultur hatte die deutsche Volksseele zu spiegeln. In diesen Kreisen war die Asphaltliteratur ebenso verpönt wie die Malerei jenseits des Impressionismus und die moderne Zwölfton-Musik.
Auf der anderen Seite entwickelte sich seit 1890 ein "Subsystem". Demnach sollte Kultur als eine eigenständige Sphäre betrachtete werden, in der experimentiert werden dürfe. Die Vertreter der Richtung hatten vor allem in der Hochburg Paris ein Vorbild. In der französischen Metropole entwickelten sich die Künste in den Salons.
In Deutschland entzündete sich Dr. Ditter zufolge der Kulturkampf in der Frage der Identität zwischen Kunst und Nation. Das konservative Bildungsbürgertum war gut organisiert, zumal ihm das monarchistische System als Mäzen von Theatern in die Hände spielte.
Dennoch wurde in den 1920er Jahren "Berlin zum Weltmarkt der Moderne". Die NSDAP, die mit Populismus auf Wählerfang ging, schlug sich uneingeschränkt auf die Seite der bürgerlich etablierten Hochkultur. Der Partei-Ideologe Alfred Rosenberg gründete 1928 einen entsprechenden Kampfbund, der in kurzer Zeit durch 500 Ortsvereine untermauert wurde.
Zudem tobte die Jugendrevolte. In reaktionären Studentenkreisen bedauerte man die späte Geburt, so dass ihnen ein Eingreifen in den Ersten Weltkrieg verwehrt blieb. "Wenn wir da gewesen wären...", beschrieb Dr. Ditter die weit verbreitete Atmosphäre in den studentischen Zirkeln.
Dabei verwies der Referent auf die schlechten Aussichten der jungen Akademiker. "Wer 1925 sein Staatsexamen ablegte, wusste, dass er arbeitslos bleiben würde." Die Perspektivlosigkeit trieb die jungen Menschen in die Arme der NSDAP. An der Technischen Hochschule in Darmstadt habe sich der Studentenrat 1926 zu einer Zweidrittel-Mehrheit aus völkisch orientierten Gruppierungen zusammengesetzt. Die Anhängerschaft wuchs 1931 auf vier Fünftel, sank jedoch 1933 auf 36 Prozent ab.
Mit der Machtergreifung Hitlers wurde die studentische Selbstverwaltung abgeschafft. Stattdessen wurde ein "Führer" ernannt. Auch wenn der Kopf stetig wechselte, blieb eine Linientreue. "Die NSDAP war eine Bewegung der jungen Generation", so der Referent. Die Bücherverbrennung kam vielfach aus ihren Reihen. Die Aktionen passten den jungen Burschen in die Hexenjagd gegen Andersdenkende. Es wurden Komitees ins Leben gerufen, wobei die Mobilisierung wichtiger als die Inhalte zu sein schienen.

Erst 70 Jahre später an die Untaten öffentlich erinnert
Für die Bücherverbrennung am 10. Mai gab es im Darmstädter Tageblatt zunächst einen kurzen Hinweis auf die Planungen. Stattgefunden hat dann nichts. Am 9. Juni trafen sich die deutschen Bibliothekare in Darmstadt. Bei der Veranstaltung bedachte selbst der NSDAP-Funktionär und erste Staatspräsident Hessens, Dr. Ferdinand Werner, den "Flammentod der Bücher" mit Hohn.
Doch die Studentenschaft forderte erneut die Bevölkerung dazu auf, die "Bücherschränke zu säubern", und kündigte eine feierliche Verbrennung an. Ein Lastwagen der SA fuhr durch Straßen und sammelte den "Schund und Schmutz" auf. Am 21. Juni 1933, dem Tag der Sonnwendfeier, brannten die Werke auf dem Merckplatz lichterloh.
70 Jahre danach entschlossen sich die Stadtoberen, an dieser Stelle eine Gedächtnisplatte zu verlegen. "Ein früheres Erinnern wäre besser gewesen", kommentierte der Historiker Prof. Dr. Christof Dipper in seinem Referat, das er in der Reihe "Zwingenberger SpätleseR" auf Einladung von Stadtbücherei und Arbeitskreis Synagoge hielt.
In Frankfurt wurde die Bücherverbrennung am 10. Mai öffentlichkeitswirksam inszeniert. Man spannte den Ochsen vor den Karren mit dem Schild "Wider den undeutschen Geist". Hauptredner war ein glühender Nazi-Vertreter und Studentenpfarrer.
Wenige Wochen später habe er sich wegen des "Arier-Paragraphen" distanziert. Denn Jesus Christus war Jude.
In Offenbach organisierte der Kampfbund die Bücherverbrennung zur Richard-Wagner-Feier im geschlossenen Rahmen im Isenburger Schloss.
In Mainz gab es gar zwei konkurrierende Veranstaltungen, eine am 23. Juni, die das pädagogische Institut mit Vertretern der Stadtverwaltung organisiert hatte, und eine weitere am Folgetag, zu der die SA aufgerufen hatte.
Die Aktionen liefen an den verschiedenen Orten nicht nach einer einheitlichen Vorgabe ab. Für den Referenten Prof. Dr. Christof Ditter bestätigt sich damit nicht zuletzt, dass in der Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft durchaus Kampagnen "von unten" möglich waren und auch durchgesetzt wurden. moni
© Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 23.05.2013
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