Die Boxheimer Dokumente

Im Ried planten Nazis 1931 die Machtübernahme
Rektor i.R. Albert Bähr referiert über die Boxheimer Dokumente

Am 5. August 1931 legte der Jurist Dr. Werner Best bei einer internen Zusammenkunft einiger hessischer NSDAP-Führer im Boxheimer Hof bei Bürstadt seinen Entwurf einer nationalsozialistischen Machtergreifung vor: Mit dieser Verordnung sollten alle Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, alle politischen Gegner sollten „vorsorglich“ in unverzüglich einzurichtende Konzentrationslager eingeliefert werden, SA und andere NS-Gruppen sollten die uneingeschränkte Vollzugsgewalt erhalten. Der Staat sollte ein grundsätzliches Zugriffsrecht auf sämtliches Privatvermögen erhalten, auch sollte eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht für alle Deutschen eingeführt werden. „Widerstand wird grundsätzlich mit dem Tode bestraft“, so Best. Diese Ideen zeigten schon 1931 die später im NS-Regime durchgeführte Umgestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft auf, auch Beschränkungen der Rechte von jüdischen Bürgern waren in den „Boxheimer Dokumenten“ schon enthalten.

Best gab später an, die „Boxheimer Dokumente“ für den Fall „kommunistischer Unruhen“ entwickelt zu haben. Etliche Historiker bezweifeln aber diese Aussage und gehen von einem von hypothetischen Umsturzplänen unabhängigen Szenario für die Machtübernahme durch die NSDAP aus.

Im November 1931 wurden die „Boxheimer Dokumente“ öffentlich: Der von Best gemobte NSDAP-Abgeordneter Hermann Schäfer übergab die Papiere an die hessische Polizei und diese informierte die Presse. Diese Veröffentlichung rief einen Sturm der Entrüstung in ganz Deutschland hervor. Von den kommunistischen Zeitungen bis hin zum Parteiorgan der konservativen Bayrischen Volkspartei wurde gefordert, den Verfasser wegen Hochverrats vor das Reichsgericht zu stellen, da er kaum verhohlen den Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung vorbereitet habe. Der sozialdemokratische „Vorwärts“ titelte am 26. November 1931 „Die Blutpläne von Hessen“.
Umgehend versicherte Hermann Göring für die Reichleitung der NSDAP einen strikten Legalitätskurs und erteilte jeder Umgestaltung der bestehenden Verfassungsordnung eine Absage. Bekanntlich sah die Realität allerdings nur ein gutes Jahr später völlig anders aus....

Am Donnerstag, 27. Januar 2011, 19:30 Uhr referiert Albert Bähr, Rektor i.R., Lorsch, im Saal des Alten Amtsgerichts Zwingenberg über die Boxheimer Dokumente und seinen Verfasser Dr. Werner Best. Die Veranstalter - „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ zusammen mit den evangelischen Kirchengemeinden Zwingenberg und Alsbach sowie der katholischen Pfarrgemeinde Zwingenberg - laden zu diesem Vortrag aus Anlass des Gedenktages der Befreiung des KZ Auschwitz ein.

Artikel des "Echo online" vom 2. Februar 2011

„Wir können das nicht ruhen lassen“
Geschichte: Der Lorscher Albert Bähr referiert in Zwingenberg über die Boxheimer Dokumente

Am 27. Januar war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Aus diesem Anlass hatte der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge Albert Bähr als Referenten eingeladen. Zu dem Vortrag über die „Boxheimer Dokumente“ und deren Verfasser Werner Best waren mehr als 40 Besucher in das alte Amtsgericht nach Zwingenberg gekommen.
„Wir dürfen das nicht ruhen lassen“ sagte Bähr zu Beginn seines Vortrags und warnte vor dem Schwinden der gesellschaftlichen Relevanz für das Thema. Die Dokumente, die nach dem Boxheimer Hof zwischen Bürstadt und Lampertheim benannt sind, sorgten zu Beginn der dreißiger Jahre über die Grenzen von Deutschland hinaus für Aufruhr. „Diese Dokumente sind hochexplosiv“ sagte Bähr. Die Geschichte belegt das.
Der Boxheimer Hof war zu dieser Zeit Treffpunkt von Mitgliedern der NSDAP. Hier legte der Jurist Werner Best seinen Entwurf einer nationalsozialistischen Machtergreifung vor. Mit der Verordnung sollten alle Grundrechte außer Kraft gesetzt und politischen Gegner „vorsorglich“ in unverzüglich einzurichtende Konzentrationslager eingeliefert werden. SA und andere NS-Gruppen sollten die uneingeschränkte Vollzugsgewalt und der Staat ein grundsätzliches Zugriffsrecht auf Privatvermögen erhalten. „Widerstand wird grundsätzlich mit dem Tode bestraft“, so Best in den Boxheimer Dokumenten.
Diese Ideen zeigten schon 1931 die später im NS-Regime in die Tat umgesetzten Gestaltungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch Beschränkungen der Rechte von jüdischen Bürgern waren in den „Boxheimer Dokumenten“ schon enthalten. Best gab später an, die „Boxheimer Dokumente“ für den Fall „kommunistischer Unruhen“ entwickelt zu haben.
Im November 1931 wurden die Dokumente öffentlich. Dies rief einen Sturm der Entrüstung in ganz Deutschland hervor. Von vielen Seiten wurde gefordert, den Verfasser wegen Hochverrats vor das Reichsgericht zu stellen, da er den Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung vorbereitet habe. Umgehend versicherte Hermann Göring für die Reichsleitung der NSDAP einen strikten Legalitätskurs und erteilte jeder Umgestaltung der Verfassungsordnung eine Absage. Bekanntlich sah die Realität allerdings nur ein gutes Jahr später völlig anders aus.
Bähr sprach in Zwingenberg vor gut informiertem Publikum, von dem er zum Ende seines Vortrags viel Beifall erhielt. Die Einladung zur Diskussion wurde gerne angenommen.
Der Lorscher, dessen Ambitionen nach eigenen Aussagen vor allem von heimatkundlichem Interesse geleitet sind, referierte zum zweiten Mal über Werner Best und die Boxheimer Dokumente.
Fritz Kilthau, der Vorsitzende des Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, dankte ihm dafür im Namen der Veranstalter, zu dem die evangelischen Kirchengemeinden Zwingenberg und Alsbach sowie die katholische Pfarrgemeinde Zwingenberg gehörten.
02. Februar 2011 | jig


Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 8. Februar 2011

Systematischer Fahrplan an die Macht
Arbeitskreis Synagoge: Albert Bähr über die "Boxheimer Dokumente" und ihren Urheber Werner Best
Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Zwingenberg. Im Sommer 1931 verfasste ein 28-jähriger Amtsrichter Pläne für die gewaltsame Machtübernahme der Nazis. Knapp zwei Jahre vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde im Boxheimer Hof bei Bürstadt ein minutiöser Fahrplan für eine nationalsozialistische Übernahme vorgelegt. Ein Entwurf der späteren Wirklichkeit und ein detailliertes Szenario als Ouvertüre einer faschistischen Diktatur.
Verfasser der unter dem Namen "Boxheimer Dokumente" bekannt gewordenen Texte war der Parteifunktionär Werner Best, der im Ried gemeinsam mit anderen hessischen Nationalsozialisten eine Handlungsempfehlung für den systematischen politischen Umsturz entwickelt hat. Über den historischen Kontext und die Inhalte der Dokumente, vor allem aber über die Person Bests referierte jetzt der Lorscher Albert Bähr auf Einladung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge.

Wichtigtuer macht Karriere
Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau begrüßte etwa 60 Gäste im Alten Amtsgericht. Die Veranstaltung fand zum Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz statt und wurde gemeinsam mit den evangelischen Kirchengemeinden Zwingenberg und Alsbach sowie der katholischen Pfarrgemeinde Zwingenberg durchgeführt.
Auf der Basis biografischer Aufzeichnungen des Historikers Ulrich Herbert aus dem Jahr 1996 und weiterer Quellen zeichnete Bähr ein homogenes Gesamtporträt der damaligen Ereignisse, die offenbaren, wie früh bürokratische Steigbügelhalter die Machtübernahme vorgeplant hatten. Best, der zunächst auch in den eigenen Reihen als Wichtigtuer galt, machte unter Hitler Karriere als "Staatskommissar für das Polizeiwesen" und war in dieser Funktion maßgeblich an der Einrichtung des KZ Osthofen beteiligt. Im Nachkriegsdeutschland wurde der ehemalige Richter (Gernsheim) niemals juristisch verfolgt.
Am 5. August 1931 findet auf dem Boxheimer Hof ein Treffen statt. Es geht um Wirtschaftsthemen. Im Verlauf der Diskussion präsentiert Best eine Sammlung von Richtlinien und Maßnahmen, die er für den Fall eines kommunistischen Putschversuchs und der danach erfolgenden nationalsozialistischen Machtübernahme entworfen haben will. Etliche Historiker bezweifeln später den hypothetischen Charakter der Texte und gehen von einer konkreten und planmäßigen politischen Strategie aus.

Bei Widerstand Todesstrafe
Teils vage, teils sehr detailliert beschreibt Best, wie die NSDAP und ihre Hilfsorgane Behörden und Ministerien aushebeln und eigene Verwaltungsstrukturen aufbauen könnten. In seinen als "Notverordnungen" überschriebenen Kapiteln hatte der Verfasser die provisorische Versorgung der Bevölkerung, die Zuteilung von Nahrungsmitteln und die Einführung einer Arbeitspflicht vorgelegt.
Unter anderem heißt es darin: "An die Stelle der obersten Staatsbehörden (Ministerien) tritt die Führung der SA und Landwehren." Und weiter: "Widerstand wird grundsätzlich mit dem Tode bestraft." Auch von einer Rechtsbeschneidung der Juden war bereits ausdrücklich und unmissverständlich die Rede.
Ein Programm, das nicht nur den politischen Ehrgeiz eines braunen Karrieristen spiegelt, sondern auch die Verzahnung von militärischer Gesetzgebung und totalitärer Verwaltungsherrschaft vorführt. Bei Bests weder juristisch noch akademisch gebildeten Parteikollegen hinterließen die Schriften einen tiefen Eindruck.
In der Parteiführung wurden seine Vorschläge zunächst wenig ernst genommen. Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß kommentierte sie als "Dummen-Jungenstreich". Erst ihre strategische Veröffentlichung durch den Offenbacher NSDAP-Chef Hermann Schäfer im November des Jahres sorgte im In- und Ausland für Aufsehen. Schäfer wollte sich an Best dafür rächen, dass dieser ihn zuvor wegen eines gefälschten Doktortitels unter Druck gesetzt hatte. Kommunisten, Sozialdemokraten und auch konservative Politiker reagierten mit heftiger Kritik an diesen unverschleierten Umsturzplänen der staatlichen Ordnung. Man sprach von "Henkersphantasien" und "Blutplänen". Auch im Ausland wächst die Angst vor den radikalen deutschnationalen Tendenzen.

Keine Fiktion
Die Reichsregierung verharmloste die Angelegenheit, indem sie auf den fiktionalen Charakter der Texte verwies. Für die Nazis war die Publikation unbequem - sie passte nicht zum vermeintlich legalen Vorgehen, die sie in der Öffentlichkeit wahren wollte. Werner Best wurde kurze Zeit von seinem Dienst beurlaubt. Die NSDAP sprach von Fälschungen. Die Affäre verlief im Sand.
Dem Urheber schadeten die Dokumente nicht. Ein Strafverfahren gegen ihn wurde fallen gelassen. Werner Best trifft Hitler, wurde rechte Hand von Heinrich Himmler und beteiligt sich an der "Endlösung der Judenfrage". Im Juli 1933 findet man Herrmann Schäfer erschossen im Frankfurter Stadtwald. Best konnte man eine Beteiligung an dem Mord niemals nachweisen. In der jungen Bundesrepublik arbeitete er als Jurist und hilft bei der Rehabilitierung von NS-Tätern. Später wechselt er in die Privatwirtschaft. Er stirbt 1989.

Für den Biograph Ulrich Herbert sind die "Boxheimer Dokumente" ein legalistisches Gewand nationalsozialistischer Gewaltphantasien, indem "Rechtsdiktatur zu einer defensiven Notstandsmaßnahme stilisiert" wurde. Radikales und brutales Handeln konnte so als Rechtfertigung zur Wahrung rechtlicher Strukturen vorgeschoben werden. Im Alten Amtsgericht wurde das Thema nach den Ausführungen Bährs lebhaft diskutiert.
Die Originaldokumente werden heute in einem Moskauer Archiv aufbewahrt.

Bergsträßer Anzeiger
08. Februar 2011

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