Gedenkveranstaltung am 9.11.2010 in Zwingenberg
Pressemitteilung des SPD-Ortsvereins Zwingenberg
„Als die Synagogen brannten“, Zwingenberger Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus am 9.11.
Die unvorstellbaren Ereignisse in der Reichspogromnacht vom 10. November 1938 im Kreis Bergstraße stehen im Mittelpunkt der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus, die in diesem Jahr vom Zwingenberger SPD-Ortsverein und dem „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ gemeinsam gestaltet wird.
Die Feierstunde findet am Dienstag, 09. November 2010, um 19:00 Uhr, in der Remise am Zwingenberger Alten Amtsgericht statt.
Seit nunmehr 25 Jahren gedenkt der Vorstand des Zwingenberger SPD-Ortsvereins alljährlich am 9. November an die Opfer der willkürlichen Nazi-Herrschaft in Zwingenberg.
In diesem Jahr hält Dr. Fritz Kilthau, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, die Gedenkrede. In seinem Bildvortrag „Als die Synagogen brannten- die Reichspogromnacht 1938 im Kreis Bergstraße“ gibt er einen Überblick über die Geschehnisse in jenen Stunden des 10.11.1938 im Kreis Bergstraße, die als Reichspogromnacht in die deutsche Geschichte eingegangen ist.
Mit seinen zahlreichen Publikationen über die Zeit des Nazi-Regimes in Zwingenberg und Bensheim ist Dr. Fritz Kilthau weit über die Grenzen der Region bekannt geworden: „Drei Tage fehlten zur Freiheit“ (Kirchbergmorde der Gestapo in Bensheim in den letzten Kriegstagen), seine Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Zwingenberg „Mitten unter uns – Zwingenberg in den Jahren 1933 bis 1945“, den „Antifaschistischen Stadtgang in Zwingenberg“ und über den Zwingenberger Schauspieler Theodor Loos.
Die Namen der Zwingenberger Opfer des Nationalsozialismus auf der Erinnerungstafel im Rathaushof beruht auf den Ergebnissen seiner fundierten Spurensuche. Mit seiner 2008 veröffentlichten Denkschrift über die Zerstörung der Synagogen im Gebiet des Kreises Bergstraße und dem Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in der Reichspogromnacht von 1938 im Kreis Bergstraße, hat Dr. Fritz Kilthau als erster Bergsträßer diese Ereignisse kreisweit zusammengefasst.
Dr. Fritz Kilthau gehört als Gründungsmitglied dem 1999 gegründeten Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ an. Seit 2002 leitet er als Vorsitzender den Verein, der fest im Zwingenberger Leben verankert ist.
Die „Zwingenberger Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen“, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, wurde vom Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge formuliert und von der Zwingenberger Stadtverordnetenversammlung beschlossen.
„ Das Andenken an die Opfer des faschistischen Terrors muss in den Herzen der Menschen bewahrt werden“, begründet Hanns Werner, ehemaliger Vorsitzender des SPD-Ortsvereins und Gründungsmitglied des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, die langjährigen Aktivitäten der Zwingenberger SPD am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Mit ihrer Gedenkveranstaltung wollen die Zwingenberger Sozialdemokraten das Vermächtnis der Opfer des Nationalsozialismus bewahren und ein deutliches Zeichen setzen gegen Rassismus, Fremdenhass und nationalistischer Überheblichkeit. Immer wieder versuchen Neo-Nazi-Gruppen und ihre Anhänger, auch in unserer Region, Fuß zu fassen und mit ihren Aktionen unsere freiheitliche, demokratische Ordnung zu untergraben.
Der oberflächliche Umgang der Gesellschaft mit der jüngsten deutschen Geschichte, Unwissenheit, mangelnde Vermittlung demokratischer Traditionen und ausländerfeindliche und antisemitische Grundhaltungen vieler Bürgerinnen und Bürger begünstigen diese Entwicklung. Schuld an unserer Misere und an mangelnden Aufstiegschancen sind immer die anderen, die Fremden, mit diesen, immer wiederkehrenden Schuldzuweisungen betreiben heute leider nicht nur Rechtsextremisten ihre Hetze.
Diesen Versuchen muss sich nach Meinung der Zwingenberger SPD unsere demokratische Gesellschaft parteiübergreifend und in Übereinstimmung mit allen unseren demokratischen Kräften immer wieder entgegenstellen.
Mit einer Dokumentation aus früheren Presseberichten erinnert der SPD-Ortsverein am 9.11. in der Remise an die Gedenkveranstaltungen der vergangenen 25 Jahre. Die Dokumentation erinnert an Zeitzeugen, an Valentin Senger, das Ehepaar Etty und Peter Gingold, Pfarrer Horst Symanowski, die leider schon alle verstorben sind, an Heidemarie Wieczorek-Zeul, „Toni“ Keim und weitere Persönlichkeiten, die als Redner/innen bei den Zwingenberger Gedenkveranstaltungen am 9.11. Stellung genommen haben.
Die historische Bedeutung des 9. November ist für die Entwicklung unseres heutigen demokratischen Staatswesens unbestritten. Kein anderer Tag ist für die Geschichte Deutschlands so bedeutend wie dieser: Ausrufung der demokratischen Republik durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann am 9.11.1918, fünf Jahre später am 9.11.1923 Bedrohung der noch jungen Demokratie durch den Hitler-Putsch in München, die Pogromnacht des Naziregimes gegen die deutschen Juden am 9./10.11.1938 war sichtbarer Auftakt derGewalt- und Vernichtungspolitik Hitlers gegen jüdische Mitbürger, politisch Andersdenkende und regimekritische Christen im Machtbereich der deutschen Nazis. Der Fall der Berliner Mauer am 9.11.1989 war der Anfang des Endes der Teilung Deutschlands, die nach dem Ende des 2. Weltkriegs als Folge des verbrecherischen sogenannten Dritten Reichs von den Siegern festgelegt wurde.
Kurz nach der Reichspogromnacht wurden zahlreiche jüdische Bergsträßer Mitbürger ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar eingeliefert. Der Zwingenberger Salomon „Sally“ Wolf verstarb im April 1945, kurz nach der Befreiung Buchenwalds. Der Schwur der 21.000 Überlebenden des Nazi-Konzentrations-lagers Buchenwald vom 21.04.1945 hat an Aktualität nichts eingebüßt: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Eine neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Es ist eine Verpflichtung und
Appell an die kommenden Generationen ewig der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und die Gedenkstätten wie Buchenwald und andere Stätten der Vernichtung zu bewahren und zu pflegen.
Dr. Rainer Schneider, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins und Zwingenbergs Bürgermeister Dr. Habich werden zur Eröffnung der Gedenkfeier sprechen. Mit einer Schweigeminute an der Gedenk- und Namenstafel für die Zwingenberger Opfer des Nationalsozialismus im Rathaushof schließt die Gedenkveranstaltung.
Die Zwingenberger SPD und der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. laden alle Interessierten aus Zwingenberg und Umgebung herzlich zur Gedenkveranstaltung am 09.11. ein.
Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 5. November 2010
Die Erinnerung wachhalten
Geschichte: SPD und AK Synagoge laden für Dienstag ab 19 Uhr in den Diefenbachsaal ein
Zwingenberg. Die unvorstellbaren Ereignisse in der Reichspogromnacht vom 10. November 1938 im Kreis Bergstraße stehen im Mittelpunkt der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus, die in diesem Jahr vom Zwingenberger SPD-Ortsverein und dem "Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V." gemeinsam gestaltet wird.
Die Feierstunde findet am Dienstag (9. November) ab 19 Uhr im Diefenbachsaal des "Bunten Löwen" - und nicht, wie ursprünglich geplant, in der Remise beim Alten Amtsgericht - statt. In einer Pressemitteilung heißt es:
Seit nunmehr 25 Jahren gedenkt der Vorstand des Zwingenberger SPD-Ortsvereins alljährlich am 9. November an die Opfer der willkürlichen Nazi-Herrschaft in Zwingenberg.
In diesem Jahr hält Dr. Fritz Kilthau, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, die Gedenkrede. In seinem Bildvortrag "Als die Synagogen brannten - die Reichspogromnacht 1938 im Kreis Bergstraße" gibt er einen Überblick über die Geschehnisse in jenen Stunden des 10.11.1938 im Kreis Bergstraße, die als Reichspogromnacht in die deutsche Geschichte eingegangen ist.
Mit seinen zahlreichen Publikationen über die Zeit des Nazi-Regimes in Zwingenberg und Bensheim ist Dr. Fritz Kilthau weit über die Grenzen der Region bekannt geworden. Als Titel seien genannt:
"Drei Tage fehlten zur Freiheit" (Kirchbergmorde der Gestapo in Bensheim in den letzten Kriegstagen).
"Mitten unter uns - Zwingenberg in den Jahren 1933 bis 1945", eine Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Zwingenberg.
"Antifaschistischer Stadtgang in Zwingenberg".
Arbeit über den Zwingenberger Schauspieler Theodor Loos.
Die Namensnennung der Zwingenberger Opfer des Nationalsozialismus auf der Erinnerungstafel im Rathaushof beruht auf den Ergebnissen seiner fundierten Spurensuche. Mit seiner 2008 veröffentlichten Denkschrift über die Zerstörung der Synagogen im Gebiet des Kreises Bergstraße und über das Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in der Reichspogromnacht von 1938 im Kreis Bergstraße, hat Dr. Fritz Kilthau als erster Bergsträßer diese Ereignisse kreisweit zusammengefasst.
Dr. Fritz Kilthau gehört als Gründungsmitglied dem 1999 gegründeten Verein "Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V." an. Seit 2002 leitet er als Vorsitzender den Verein, der fest im Zwingenberger Leben verankert ist. Die "Zwingenberger Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen", gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, wurde vom Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge formuliert und von der Zwingenberger Stadtverordnetenversammlung beschlossen. red
Bergsträßer Anzeiger
5. November 2010
Rückschau auf 25 Jahre Erinnerungsarbeit
"Das Andenken an die Opfer des faschistischen Terrors muss in den Herzen der Menschen bewahrt werden", begründet Hanns Werner, ehemaliger Vorsitzender der SPD und Gründungsmitglied des AK Synagoge, die langjährigen Aktivitäten seiner Partei am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Mit ihrer Gedenkveranstaltung wollen die Sozialdemokraten das Vermächtnis der Opfer des Nationalsozialismus bewahren und ein deutliches Zeichen gegen Rassismus, Fremdenhass und nationalistischer Überheblichkeit setzen. Immer wieder versuchen Neo-Nazis
auch in der Region Fuß zu fassen und mit ihren Aktionen die freiheitliche demokratische Ordnung zu untergraben.
Ein manchmal oberflächlicher Umgang mit der Geschichte, Unwissenheit, mangelnde Vermittlung demokratischer Traditionen und ausländerfeindliche und antisemitische Grundhaltungen vieler Bürger begünstigen diese Entwicklung. Schuld an unserer Misere und an mangelnden Aufstiegschancen sind immer die anderen, die Fremden - mit diesen immer wiederkehrenden Schuldzuweisungen betreiben heute leider nicht nur Rechtsextremisten ihre Hetze.
Diesen Versuchen muss sich nach Meinung der SPD eine demokratische Gesellschaft parteiübergreifend und in Übereinstimmung mit allen demokratischen Kräften immer wieder entgegenstellen.
Mit einer Dokumentation aus früheren Presseberichten erinnert der SPD-Ortsverein am 9.11. im Diefenbachsaal an die Gedenkveranstaltungen der vergangenen 25 Jahre. Die Dokumentation erinnert an Zeitzeugen, die mittlerweile alle gestorben sind - an Valentin Senger, das Ehepaar Etty und Peter Gingold oder Pfarrer Horst Symanowski. Aber auch an Heidemarie Wieczorek-Zeul, "Toni" Keim und weitere Persönlichkeiten, die als Redner bei den Gedenkveran-staltungen Stellung genommen haben.
Die historische Bedeutung des 9. November ist für die Entwicklung des heutigen demokratischen Staatswesens unbestritten: Ausrufung der demokratischen Republik durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann am 9.11.1918. Fünf Jahre später, am 9.11.1923, Bedrohung der noch jungen Demo-kratie durch den Hitler-Putsch in München. Die Pogromnacht des Naziregimes gegen die deutschen Juden am 9./10.11.1938 war sichtbarer Auftakt der Gewalt- und Vernichtungspolitik Hitlers gegen jüdische Mitbürger, politisch Andersdenkende und regimekritische Christen im Machtbereich der deutschen Nazis. Der Fall der Berliner Mauer am 9.11.1989 war der Anfang des Endes der Teilung Deutschlands, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Folge des verbrecherischen sogenannten "Dritten Reichs" von den Siegern festgelegt wurde.
Kurz nach der Reichspogromnacht wurden viele jüdische Bergsträßer ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar eingeliefert. Der Zwingenberger Salomon "Sally" Wolf verstarb im April 1945, kurz nach der Befreiung Buchenwalds.
Der Schwur der 21 000 Überlebenden des Nazi-Konzentrationslagers Buchenwald vom 21. April1945 hat an Aktualität nichts eingebüßt: "Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Eine neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel." Es ist eine Verpflichtung und Appell an die kommenden Generationen ewig der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und die Gedenkstätten wie Buchenwald und andere Stätten der Vernichtung zu bewahren und zu pflegen.
Mit einer Schweigeminute an der Gedenk- und Namenstafel für die Zwingenberger Opfer des Nationalsozialismus im Rathaushof schließt die Gedenkveranstaltung. red
Bergsträßer Anzeiger
5. November 2010
Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 11. November 2010
Die Tage, als die Synagogen brannten
Gedenkfeier: SPD und Arbeitskreis Synagoge erinnerten an die Opfer des Pogroms von 1938
Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch
Zwingenberg. "Aus dem Erdgeschoss drangen Geräusche von zersplitterndem Glas und Geschirr, von umstürzenden und umher geworfenen Möbeln. Aus der Synagoge auf der anderen Straßenseite schlugen Flammen. Der kleine Junge blickte hinüber zur brennenden Schul´ und dann instinktiv in Opas Gesicht. Und er erkannte, dass etwas Schreckliches geschehen war, dass alles anders, unwiderruflich anders geworden war."
Mit diesen Worten beschreibt der damals siebenjährige Kurt "Claude" Abraham die Ereignisse in Lorsch am Morgen des 10. November 1938. Ähnlich wie er erlebten Juden in ganz Deutschland, wie ihre Gotteshäuser angezündet und verwüstet wurden. In der Region wurden die Synagogen in Bensheim, Heppenheim, Lampertheim und Viernheim durch Brand zerstört.
Konkret geplante Aktion
In Biblis, Neckarsteinach, Rimbach und Zwingenberg beschädigte der nationalsozialistische Mob das Mobiliar im Innern der Gebäude. "Das war keine spontane Aktion aus der Bevölkerung, sondern von den Nazis ganz konkret geplant", kommentiert Dr. Fritz Kilthau die Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938.
In diesen Tagen wurden über 400 Menschen ermordet und in den Selbstmord getrieben - wahrscheinlich waren es deutlich mehr. Etwa 30 000 männliche Juden wurden in Konzentrationslagern inhaftiert.
Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung zur staatlich organisierten Verfolgung deutscher Juden. Bei der Gedenkfeier der Zwingenberger SPD am Jahrestag des Pogroms skizzierte Kilthau am Dienstag die damaligen Ereignisse auch aus einer lokalhistorischen Perspektive.
Die zahlreichen Gäste im Diefenbachsaal des "Bunten Löwen" hörten einen fundierten und pointierten Vortrag über die Tage, "als die Synagogen brannten". Unter diesem Titel hatte der Vorsitzende des Zwingenberger Arbeitskreises Synagoge - in diesem Jahr Mitveranstalter - vor zwei Jahren eine Publikation über die Reichspogromnacht im Kreis Bergstraße veröffentlicht.
Verzweiflungstat eines Einzelnen
Bei der Gedenkfeier betonte Kilthau zunächst die zeitgeschichtlichen Hintergründe, die von den Nazis als Vorwand für eine systematische Verfolgungs- und Zerstörungsmaschinerie ausgenutzt wurden: Das Attentat von Herschel Grünspan auf den Diplomaten Hans vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris. Die Verzweiflungstat eines Einzelnen wurde mit einer kollektiven Vergeltungsorgie beantwortet, die das finale Kapitel der deutschen Judenverfolgung eingeleitet hat.
Vor Ort hetzte die Bergsträßer Zeitung das Volk auf, indem sie in der Überschrift von einem "jüdischen Mordanschlag" sprach. Zwei Tage nach dem Anschlag, am 9. November 1938, erlag der Diplomat seinen Verletzungen. Die Pogrome wurden im Blatt als "Empörung des Volkes" bezeichnet, die sich nun Luft gemacht habe.
"SA und SS machten mobil. Auch an der Bergstraße", verfolgt Dr. Fitz Kilthau die weiteren Geschehnisse. Die Verwüstungen und Plünderungen nahmen ihren Lauf. Die Nazis brachen in Häuser ein, zerstörten Wohnungseinrichtungen, schlugen die Bewohner und verhafteten die männlichen Juden, um sie in die Konzentrationslager Buchenwald oder Dachau zu verschleppen.
In Biblis stiftete ein Lehrer seine Schüler an: "Jetzt gilt es." Die Juden müssten nun konsequent aus Deutschland vertrieben werden. Auch der Erbprinz von Erbach-Schönberg spielte als führendes Mitglied der Rollkommandos eine nicht unerhebliche Rolle bei den Zerstörungen in den Odenwälder Gemeinden.
Am 23. November lebte in Bensheim noch ein einziger männlicher Jude: Der gesundheitlich gebrechliche Isidor Marx wurde nicht ins KZ gebracht. Die Schäden, die bei den Sprengungsversuchen der Heppenheimer Synagoge an den Nachbargebäuden entstanden waren, musste die jüdische Gemeinde tragen.
In Einhausen standen über 300 Gaffer dabei, als das Haus der Familie Lösermann demoliert wurde. Die Zwingenberger Synagoge wurde nur leicht beschädigt und bereits am nächsten Tag für 6000 Reichsmark an Privat verkauft. Auch vor der Schändung jüdischer Friedhöfe schreckten die Nazis nicht zurück. So sprengten sie das Eingangshaus des Alsbacher Judenfriedhofs und stürzten Grabsteine um. Viele davon wurden zum Hausbau verwendet und später auf so manchem Grundstück wieder entdeckt.
Nur wenige empörten sich
Kilthau betont: Es gab viele wie Kurt Abraham. Augenzeugenberichte und Fotos beweisen, dass die Bevölkerung die planmäßige Zerstörung der Synagogen und die Verfolgung ihrer jüdischen Nachbarn hautnah miterlebt hat. Die Masse hat zugeschaut, viele haben mitgemacht, wenige haben sich empört.
Die Novemberpogrome waren ein zentrales Kapitel innerhalb der minuziös organisierten Judenvernichtung. Sie waren auch der Auslöser für deren Ausschluss aus dem wirtschaftlichen Leben: "Es war ein Meilenstein in der staatlich gelenkten Enteignung dieser Menschen", bilanzierte Kilthau am Ende seines Vortrags.
Bergsträßer Anzeiger
11. November 2010
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Details des Vortrags