"Die Rollbahn"

„Die Rollbahn“ – ein Dokumentarfilm über das KZ-Außenlager Walldorf beim Frankfurter Flughafen

Der Flughafen Frankfurt Rhein-Main hat drei Rollbahnen. Über den Bau der ersten Rollbahn im Jahre 1944 gab es seitdem Gerüchte: Ungarische Frauen hätten die Rollbahn für Hitlers „Wunderwaffe“, das Düsenflugzeug Me 262, bauen müssen. In den 70er Jahren gingen drei junge Arbeiter diesen Gerüchten nach, recherchierten in Ungarn und Israel. Nachdem Sie sich Luftaufnahmen der Amerikaner vom Flughafen aus dem Jahre 1945 besorgt hatten, fanden sie auch tatsächlich Mauerreste im Wald zwischen Walldorf und dem Flughafen – Mauerreste des KZ-Außenlagers Walldorf, in dem die Zwangsarbeiterinnen untergebracht waren.

Der Film „Die Rollbahn“ erzählt die Geschichte dieser Mädchen und Frauen. Die jungen Frauen, vom Konzentrationslager Auschwitz nach Walldorf transportiert, unterernährt, auch im Winter nur mit dem bekleidet, was sie bei ihrer Deportation im Sommer getragen hatten, Arme und Beine zum Schutz gegen die Kälte mit Betonsäcken umwickelt - diese Frauen rodeten den Wald, schleppten Steine, legten die Fundamente für die Betonrollbahn des Flughafens. Die Baustelle stand unter Dauerbombardement der Alliierten, die Front rückte immer näher. Die Baufirma Züblin musste den Bau der Rollbahn abbrechen, die SS ließ das Lager im Wald räumen. Die Frauen verschwanden im Vernichtungslager Ravensbrück.

Zusammen mit der Stadtarchivarin Mörfelden-Walldorfs, Cornelia Rühlig, und einer Schulklasse verfolgt der Film die Spuren der Überlebenden bis nach Israel, Schweden, Ungarn und in die USA. Zugleich erzählt der Film die Nachkriegsgeschichte der Bürger Mörfelden-Walldorfs. Zeitzeugen treten auf, darunter Leugner, Mitwisser und Wegschauer, aber auch Menschen, die sich für einen ehrlichen Umgang mit den damaligen Geschehnissen einsetzen.

Von den 1700 jungen Frauen des KZ-Außenlagers Walldorf haben nur 200 das Kriegsende erlebt. 19 von ihnen waren bereit, noch einmal an den Ort ihres furchtbaren Arbeitseinsatzes zurückzukehren. Im November 2000 trafen die ehemaligen Internierten in Frankfurt ein. Sie landeten auf der Rollbahn, die sie 56 Jahre zuvor zu bauen gezwungen waren. Eine intensive, schmerzliche, aber auch befreiende Auseinandersetzung mit einem Stück deutscher Geschichte beginnt. Aber auch dies: Zu den bewegendsten Momenten des Films gehört das Treffen der alten Frauen mit einem Vertreter der Baufirma Züblin, der früheren Nutznießerin des KZ-Außenlagers Walldorf – auf eine Geste der Entschuldigung warteten die früheren Zwangsarbeiterinnen vergebens.

"Die Rollbahn" - Filmvorführung und Diskussion mit dem Filmemacher Malte Rauch und der Mörfelder Stadtarchivarin Cornelia Rühlig
Mittwoch, 2. November 2005, 20 Uhr
Evangelisches Gemeindezentrum Zwingenberg
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. zusammen mit den beiden Kirchengemeinden Zwingenbergs

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 4. November 2005

Zwangsarbeiterinnen können nicht vergessen

Arbeitskreis Synagoge zeigte bedenkenswerten Dokumentarfilm
Zwingenberg. Verleumdung, Ungläubigkeit wider besseren Wissens oder einfach Ignoranz - wenn es um Verbrechen und Gräueltaten während der Nazi-Diktatur in Deutschland geht, legen ab und an nicht nur Zeitzeugen eine bedenkliche Scheuklappensicht an den Tag. Diese Verdrängungsmechanismen bilden allerdings dank kontinuierlicher Aufklärungsarbeit eine unrühmliche Ausnahme. In den vergangenen Jahren hat sich besonders auf lokaler Ebene einiges bewegt. In Zwingenberg trägt der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge Sorge, dass nicht vergessen wird, was vor mehr als sechzig Jahren auch in der Region geschah.
Ein Beispiel für Verdrängung und Ignoranz, aber auch für ein Engagement im Zeichen der Mitmenschlichkeit, ist der Film "Die Rollbahn", der sich mit dem KZ-Außenlager Walldorf beschäftigt. Der Arbeitskreis zeigte zusammen mit den beiden örtlichen Kirchengemeinden am Mittwoch im evangelischen Gemeindezentrum diesen Dokumentarfilm und hatte zu einem anschließenden Gespräch die Stadtarchivarin von Mörfelden-Walldorf, Cornelia Rühlig, eingeladen. Filmemacher Malte Rauch musste krankheitsbedingt absagen.
Mehr als 30 Zuschauer kamen, um sich die Geschichte von 1700 ungarischen Frauen und Mädchen anzusehen, die im Jahr 1944 aus Auschwitz nach Walldorf gebracht wurden. Dort hausten sie in Baracken im Wald, mussten im Winter mit Sommerkleidern zur Zwangsarbeit antreten. Ihre Aufgabe: Der Bau der ersten asphaltierten Rollbahn am Flughafen Frankfurt.
Von dort aus sollte Hitlers "Wunderwaffe", das Düsenflugzeug Me 262, starten. Drei Monaten schleppten sie Steine, rodeten den Wald und legten den Grundstein für die südliche Landebahn am Airport, die auch heute noch genutzt wird. Als die Bombenangriffe der Alliierten zunahmen, gaben die Nazis das Projekt auf, die Ungarinnen kamen ins Konzentrationslager Ravensbrück.
Nach Kriegsende wurden die Baracken abgerissen, um Behelfsheime für die Anwohner der Orte ringsum zu bauen. Dass es im Wald wenige Meter von der Gemeinde entfernt ein Konzentrationslager gab, geriet vielleicht auch bewusst in Vergessenheit. "Ich habe die Zeit erlebt, aber nichts von dem Lager gewusst. Es ist alles erst später rausgekommen, was mit den Menschen passiert ist", sagt eine Zeitzeugin im Film.
Für die Historikerin Cornelia Rühlig spielten auch die Begleitumstände ein Rolle. "Die Außenstelle existierte nur drei Monate im Wald. Die Möglichkeit, sich davon zu distanzieren, war sehr groß." Bis Mitte siebziger Jahre wuchs buchstäblich Gras über die Sache. Eine ungarische Jüdin, die überlebt hatte und nach Walldorf gekommen war, um ihre Vergangenheit zu suchen, musste sich von Walldorfern sagen lassen, sie habe sich wohl im Ort geirrt, denn hier hätte es nie ein Lager gegeben.
Die Wende kam, als drei junge Männer aus Walldorf während eines Besuchs im KZ Buchenwald zufällig den Namen ihres Dorfes auf einer Übersichtskarte aller NS-Lager entdeckten. Sie begannen mit Recherchen und legten im Wald Fundamente frei. Trotz ihrer Entdeckung stießen sie anfänglich auf Widerstand und Ablehnung. Ihrem Engagement war es letztlich zu verdanken, dass ein Gedenkstein im Wald gesetzt wurde. Danach ruhte das Thema, bis in den achtziger Jahren Stadtarchivarin Cornelia Rühle nach Walldorf kam.
Sie arbeitete die Geschehnisse kontinuierlich auf. Sie flog nach Israel, traf Überlebende und organisierte eine Ausstellung im Rathaus. Weiter an Dynamik gewann die Vergangenheitsbewältigung, als im Jahr 1996 Walldorfer Schüler eine Klassenfahrt nach Ungarn unternahmen, um ehemalige Zwangsarbeiterinnen zu treffen. Freundschaften entstanden und führten schließlich dazu, dass 19 Frauen im Jahr 2000 noch einmal nach Walldorf kamen.
"Manchmal sage ich mir, das war nur ein schlechter Traum. Man will vergessen, aber das geht nicht", sagte eine Betroffene bei ihrer Ankunft in Frankfurt. Die Baufirma Züblin, die mit dem Bau der Rollbahn beauftragt war, zahlte damals der SS vier Reichsmark pro Tag und Arbeiterin. Verantwortung wollte das Unternehmen aber nicht übernehmen, selbst Worte des Bedauerns kamen nicht über die Lippen der Vorstandsvorsitzenden. Als durch den Einsatz der Schüler Druck über die Medien ausgeübt wurde, erklärte sich der Konzern bereit, rund zwei Millionen Euro in den Entschädigungsfonds zu zahlen.
Der 86 Minuten lange Film dokumentiert die damaligen Begebenheiten von ersten Recherchen über das Lager bis hin zum Besuch der Überlebenden in Walldorf, ihren qualvollen Erinnerungen und den ausgestreckten Händen zur Versöhnung. Besonders die Sachlichkeit und Nüchternheit, der Verzicht auf Affekte und die Aussagen der Betroffenen und der Zeitzeugen machen nachdenklich und betroffen.
"Es ist ein einfühlsamer, unpathetischer Film, der das Publikum sehr bewegt hat", fasste Dr. Claudia Becker vom Arbeitskreis zusammen. 200 Frauen überlebten den Zweiten Weltkrieg. Mit einigen von ihnen haben die Walldorfer mittlerweile jährlich Kontakt. Zurzeit wird an der Gründung einer Stiftung gearbeitet, berichtete Cornelia Rühlig. dr
© Bergsträßer Anzeiger - 4. November 2005
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