Der jüdische Humor

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 26. Oktober 2002

Der jüdische Humor: spitzfindig, doppelbödig, treffsicher
Petra Kunik begeistert auf Einladung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge mit einem witzig-nachdenklichen Vortrag

In der Tat: Es war alles andere als eine "trockene Angelegenheit". Wie es Hausherr Dr. Christoph Klock in seiner Begrüßung erhofft hatte, so gestaltete sich der heiter-nachdenkliche Mittwochabend im katholischen Pfarrzentrum zum Thema "Jüdischer Humor". Der Veranstalter, der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, hatte dazu Petra Kunik aus Frankfurt eingeladen, Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde, Autorin ("Ich schreibe für alle Menschen - eine schwierige Disziplin") und Regisseurin.

Dass ihr auch die Premiere zu diesem ungewohnten Thema gelang, lag nicht nur an der akribischen Recherche. Vor allem Petra Kuniks mitreißendes Temperament ließ den Abend bei Trauben, Käse und Wein, Informationen, jiddischer Musik, Witzen und immer wieder einem Prosit auf das Leben - "L'chayim" - zu einem Erlebnis werden.

Als "letzte Waffe der Wehrlosen" vom Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, treffend charakterisiert, ist für den Politiker und Publizisten Carlo Schmid der jüdische Witz "heiter hingenommene Trauer über die Gegensätze dieser Welt. Er zeigt immer wieder auf, dass - eben in dieser Welt voller Logik - die Gleichungen, die ohne Rest aufgehen, nicht stimmen können". Für Salcia Landmann, die den Ursprung des jüdischen Witzes erforscht, stehe fest, dass sowohl der Druck unrechtmäßigen Leidens, als auch die umfassende Talmudbildung unentbehrliche Voraussetzung wären für den einzigen Volkswitz, der in Dimensionen führt, vor denen die Witze anderer Völker halt machen: der jüdische Witz in seiner religiösen, politischen, sozialen oder philosophischen Kritik ist Volks- und Bildungswitz zugleich, jedem verständlich, und doch voller tiefer Weisheit.

Bitterer, schärfer, vollendeter, dichter und dichterischer, nimmt der jüdische Witz in der Weltliteratur einen besonderen Rang ein. Er stellt die Regeln des Lebens, die gesamte menschliche Situation von innen her in Frage - spitzfindig, doppelbödig und mit treffsicherer Pointe:
"Schmuel, was hast du im Radiogebäude gemacht?" "Mi-mi-mich u-um die Sch-sch-stelle des A-a-a-ansagers beworben." "Und? Hast du sie bekommen?" "N-n-nein! Da-das s-sind alles A-a-antisemiten!"
Oder: Als ein jüdischer Schneider erst nach langer, langer Zeit dem Auftraggeber eine bestellte Hose bringt, empfängt ihn dieser mit den Worten: "Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen, und Sie brauchen sieben Jahre für eine Hose!" Der Schneider, zärtlich über seine Arbeit streichend: "Ja, aber schauen Sie sich an die Welt - und schauen Sie sich an diese Hose!"

Womit ersichtlich wurde, dass auch der zweifelnde Geist Voraussetzung für die Entstehung des Witzes ist, der somit der Aufklärung zu verdanken und eine Stufe höher anzusiedeln ist als die Schnurren und Schelmengeschichten der mittelalterlichen "Badchonim", der fahrenden Sänger und Komödianten wie Süsskind von Trimberg, den eine Miniatur in der Heidelberger Universitätsbibliothek mit Bart und spitzem Hut zeigt. Die einzelnen Berufsstände allerdings, vom Schnorrer über den Kaufmann bis zum Rabbiner, blieben im Witz präsent, und selbst ein "Mythos", die jüdische Mame (Henryk M. Broder) ist Ziel des scharfzüngigen Humors:
Als der Sohn seiner Mutter stolz eins der zwei neuen Hemden, die sie ihm gekauft hat, vorführt, bricht sie in Wehklagen aus: "Ich habe doch gewusst, dass dir das andere nicht gefällt!"

Was Wunder, dass der jüdische Witz folglich weder Moses, der die Kinder Israels durch die Wüste führte ("Würdest du mit der Mischpoche denn durch die Innenstadt gehen?") noch Haschem - Gott - verschont, wie in dem Witz von dem Mann, der Tag für Tag, Jahr für Jahr um einen Lottogewinn fleht, bis eine Stimme von oben entnervt antwortet: "Dann gib mir endlich eine Chance und kauf' dir ein Los!"

Ohne Zweifel gewonnen hatten am Mittwochabend die zahlreichen Zuhörer im Pfarrzentrum, die Petra Kunik mit reichlich Beifall dankten. Und nachdem Dr. Fritz Kilthau, der Vorsitzende des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, dem Gast einen prächtigen Blumenstrauß überreicht hatte, klang die Veranstaltung bei Musik und geselligen Gesprächen aus.

Petra Kunik, die bereits beim Bücherfest "Kinder dieser Welt" im Juni 2001 an der Bergstraße war, liest nicht nur am 10. November im Jüdischen Museum in Frankfurt aus Heinrich Heines "Rabbi von Bacharach". Sie ist zudem seit einem Jahr aktiv in den "Abrahamischen Teams", Christen, Juden und Muslime, die unter der Ägide des Interkulturellen Rates Darmstadt der Frage nachspüren: "Wie können wir gut miteinander leben?" Eine Podiumsdiskussion ihres "Abrahamischen Teams" in Zusammenarbeit mit den Geistlichen könnte sich Petra Kunik auch einmal in Zwingenberg vorstellen. nj

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