EchoOnline 10. Juli 2012

Meilenstein in der Erinnerungskultur

Aktion – Stolpersteine in Zwingenberg weisen auf frühere jüdische Mitbürger hin

ZWINGENBERG.
Zur Verlegung durch den Künstler hatten sich zahlreiche Gäste auf dem Marktplatz eingefunden, wo vor dem Haus Nummer 12 die ersten drei Steine aus Messing für das Ehepaar Saly und Amanda Wolf und ihren Sohn Arnold verlegt wurden. Vor Anwesen in der Obergasse 3 und 5, in der Pfarrhausgasse 1 und der Alsbacher Straße 24/26 wurden Gedenksteine für Moritz und Martha Schack, Hans Gärtner, Jakob und Clara Wolf, Clothilde Wachenheimer sowie Clara und Sally David verlegt, die in den Jahren der Naziherrschaft ihre Heimatstadt verlassen mussten und den Tod fanden.
„Diese Steine sind ein Symbol für Frieden und Toleranz in der Welt“, betonte Bürgermeister Holger Habich (FDP) bei der Verlegung. Er verwies darauf, dass insgesamt 18 Mitbürger sich spontan zu einer Patenschaft für die Steine entschlossen hätten. Als einen Meilenstein in der Erinnerungskultur der Stadt bezeichnete Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Kühnhold (GUD) die Aktion. Er dankte dem Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge für seine Initiative.
Fritz Kilthau, der Vorsitzende des Arbeitskreises, erinnerte daran, dass schon 2003 die Idee zu den Stolpersteinen entstanden sei, weil die Gedenktafel für die getöteten ehemaligen jüdischen Zwingenberger keine Namen enthalte. Damals habe man sich nicht auf eine solche Aktion einigen können. Nun aber erinnerten die Steine vor den Häusern an die Menschen.
Kilthau hatte Fotos der Familie Wolf und eine Aufnahme aus dem Lager Buchenwald nach dessen Befreiung mitgebracht, um ein wenig über das Leben der Familie im Haus am Marktplatz 12 zu berichten. Saly und Amanda Wolf wohnten nicht nur in diesem Haus, sondern hatten hier auch ihr Leder- und Schuhgeschäft. Das Familienfoto zeigt die beiden zusammen mit ihren Kindern Ilse, Arnold und Fritz. „Die Familie war in der Stadt beliebt, musste aber nach der Machtergreifung Ausgrenzung erleben“, so Fritz Kilthau.

Die Geschäfte seien immer schlechter gegangen, die geplante Ausreise in die USA gescheitert und nach der Löschung des Geschäfts sei das Ehepaar in ein sogenanntes Judenhaus nach Darmstadt in die Grafenstraße gezogen, von wo aus die beiden nach Polen deportiert wurden. Ilse und Fritz konnten sich in die USA und nach Israel retten, ihr Bruder Arnold ging mit 14 Jahren nach Holland, begann dort eine Schreinerlehre, wurde bei der Flucht in die Schweiz verhaftet und kam wie seine Mutter im KZ um. Unklar ist dagegen das weitere Schicksal des Vaters. Tochter Ilse glaubte, ihn auf einem Foto nach der Befreiung des Lagers Buchenwald erkannte zu haben, doch dies konnte bei Recherchen bislang nicht bestätigt werden. Daher stehen auf Salys Stolperstein drei Fragezeichen anstelle seines Sterbeorts.
Gunter Demnig, der 1993 die Idee zu den Stolpersteinen entwickelte und über 36 000 Steine verlegte, machte deutlich, dass die Menschen durch die Steine zu ihren Häusern und in ihre Straßen gleichsam zurückkehrten. Für viele betroffene Familie sei dies eine spezielle Art der Familienzusammenführung, ein Schlussstein, der die Versöhnung mit Deutschland ermögliche.
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