Ich klage an

„Ich klage an“ – Nazi-Propagandafilm zur Euthanasie
Vorführung mit Diskussion im Alten Amtsgericht – Veranstaltung des „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“

Das Euthanasie-Programm der Nazis, dem insgesamt mehr als 200.000 kranke und behinderte Menschen zum Opfer fielen, lief bereits drei Jahre, als die Reichskanzlei einen Spielfilm zur Euthanasie in Auftrag gab. Eine melodramatische Geschichte sollte den Zuschauern den Schluss nahe legen, dass „der Tod eine Erlösung für die Betroffenen und für die Menschheit eine Befreiung von einer Last“ sei. Im August 1941 kam „Ich klage an“ in die deutschen Kinos. Der Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ zeigt den Film am 17. Oktober (Donnerstag) um 19 Uhr im Saal des Alten Amtsgerichts Zwingenberg. Michael Loth, Pädagoge und Mitarbeiter des Instituts für Kino und Filmkultur, Wiesbaden, wird in den Film einführen und anschließend die Diskussion leiten.

Regisseur Wolfgang Liebeneiner, seit 1938 künstlerischer Leiter der Deutschen Filmakademie Babelsberg, wurde mit der Realisierung des Films beauftragt, in dem eine junge, an multipler Sklerose erkrankte Frau ihren Gatten und einen Freund – beide sind Ärzte — um Sterbehilfe bittet. Hanna will nicht „blind, taub und idiotisch werden, nur ein Fleischklumpen“. Als Erstickungsanfälle einsetzen, verabreicht der Ehemann ihr ein tödliches Gift. Der Freund zeigt ihn wegen Mordes an. Daraufhin folgt ein harter Schnitt; dem Ehemann wird der Prozess gemacht, in dem die verschiedensten Meinungen über die Sterbehilfe zur Sprache kommen, von der Mordanklage bis hin zur Bewertung der Tötung als humanitäre Erlösung. Im Schlusswort bekennt er sich zu seiner Tat und spricht sich für die Legalisierung der Sterbehilfe aus. Der Film endet, ohne die Entscheidung des Richters abzuwarten.

In die Haupthandlung des Films ist eine brisante Nebenhandlung eingebaut, die die Sterbehilfe mit der Euthanasie zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ verknüpft. Der befreundete Arzt erzählt Hanna von einem kleinen Kind, das er nach einer lebensgefährlichen Hirnhautentzündung zunächst über den Berg gebracht hat, doch das Kind ist anschließend schwerstbehindert und die Eltern machen ihm Vorwürfe. Als er später das Kind in der Kinderabteilung einer psychiatrischen „Anstalt“ besucht, ist er total geschockt – und nimmt im Folgenden im Prozess gegen Hannas Ehemann den Mordvorwurf zurück.

Der Propagandafilm „Ich klage an“ ist die einzige Spielfilmproduktion der Nazis, die sich direkt mit Sterbehilfe und Euthanasie auseinandersetzt. Der Film verhandelt die Themen fast ausschließlich auf der privaten Ebene und appelliert damit zunächst an die Emotionen des Publikums. Erst während des Prozesses wird die Diskussion um philosophische, religiöse und politische Positionen erweitert; Sterbehilfe und Euthanasie werden dabei nicht klar voneinander abgegrenzt. „Ich klage an“ verleitet mit seiner subtilen Darstellung dazu, Sterbehilfe und auch Euthanasie vordergründig als zeitloses Problem wahrzunehmen, obwohl diese hoch aktuell und ideologisch aufgeladen sind. Mit der raffiniert eingeschleusten Propaganda soll die Bevölkerung davon überzeugt werden, dass es richtig ist, dem Staat das Recht zur Euthanasie, also zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, zu geben. 18 Millionen Besucher sahen den Film. Die Nazi-Propaganda stufte ihn als äußerst wirkungsvoll ein. Goebels Ziel, die Propaganda auch künstlerisch überzeugend unters Volk zu bringen, war gelungen.

Ärzte erhielten von den Nazis die Befugnis, nach eigenem Ermessen den „Gnadentod“ durchzuführen. Außerdem begann die systematische Euthanasie mit der Deportation und der Ermordung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen. Auch aus der Heppenheimer „Heil- und Pflegeanstalt“ kamen Hunderte in die Tötungsanstalt Hadamar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Film „Ich klage an“ verboten, die Auswertungsrechte liegen bei der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden. Die Vorführung dieses Films ist nur im Rahmen einer Bildungsveranstaltung erlaubt, wie sie vom „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ am 17. Oktober organisiert wird. Die Murnau-Stiftung betreibt das Deutsche Filmhaus in Wiesbaden, wo auch das Institut für Kino und Filmkultur angesiedelt ist. Michael Loth gilt als ausgewiesener Kenner der Nazi-Propagandafilme; er ist deutschlandweit unterwegs, um diese Filme mit einem interessierten Publikum zu analysieren.


Die subtile Propaganda der Nazis für Euthanasie
Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge zeigte den NS-Film „Ich klage an“

Mit dem Film „Ich klage an“ warben die Nationalsozialisten 1941 um die breite Zustimmung der Bevölkerung zur systematischen Ermordung von „lebensunwertem Leben“ – darunter verstanden sie physisch und psychisch Kranke sowie geistig Behinderte. Michael Loth vom Institut für Kino und Filmkultur zeigte in seiner Einführung zum Film, zu dessen Präsentation der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge eingeladen hatte, wie die Nationalsozialisten ihre „Rassenhygiene“ umsetzten: Auf der einen Seite sollte ein „erbgesunder“ Nachwuchs gefördert werden, gleichzeitig aber der Anteil „Erbkranker“ im „Volkskörper“ verringert oder ausgelöscht werden. Ein Volk aus leistungsstarken, „erbgesunden, nicht kriminellen arischen Menschen“ war das Ziel der Rassenhygiene.

Bereits im Juli 1933 erließen die Nationalsozialisten das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Personen mit erheblichen Erbkrankheiten mussten von ihren Ärzten an die Gesundheitsämter gemeldet werden, viele wurden anschließend zwangssterilisiert. Betroffen waren auch sogenannte „Asoziale“, Alkoholiker, Prostituierte und Bettler sowie Sinti und Roma. Heute wird geschätzt, dass etwa 400.000 Menschen Opfer dieser rigiden Maßnahme wurden.
1939 begannen die Nationalsozialisten, Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung zu ermorden, von den Nationalsozialisten euphemistisch als „guter Tod – Euthanasie“ bezeichnet. Eine dauerhafte Versorgung der Behinderten in Heimen wurde als Verschwendung volkswirtschaftlichen Vermögens angesehen – gerade auch im Hinblick auf die geplanten Kriege. Auf Plakaten war zu lesen:„60000 RM kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit – Volksgenosse, das ist auch Dein Geld!“ Im September 1939 mussten behinderte Kleinkinder einem Gutachtergremium in Berlin gemeldet werden, die häufig eine Tötung, den „Gnadentod“, durch Medikamente oder „Vernachlässigung“ empfahlen.

Mit der sogenannten „T4-Aktion“, benannt nach der zuständigen Dienststelle „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ in der Berliner Tiergartenstraße 4, starteten die Verantwortlichen die systematische Ermordung von behinderten und psychisch kranker Erwachsenen. In allen psychiatrischen Anstalten wurden die Krankengeschichten der Patienten in Meldebögen erfasst, die dann von drei Gutachtern „ausgewertet“ wurden. Die zur Tötung bestimmten Patienten wurden in eigens geschaffene „Tötungsanstalten“ transportiert, in denen sie mit Kohlenmonoxid vergast und dann verbrannt wurden. Fast 300 Behinderte der Heil- und Pflegeanstalt in Heppenheim wurden in der „Tötungsanstalt Hadamar“ ermordet. In der Diskussion im Alten Amtsgericht berichtete ein Teilnehmerin, wie sie in intensiven Recherchen dem Schicksal ihrer Großtante nachgegangen ist, die ebenfalls in Hadamar umgebracht worden war – und die Verwandten damals lapidar informiert worden seien, die Frau sei gestorben, die Familie könnte ihre persönlichen Dinge abholen.

Gegen die zentrale, eigentlich geheim laufende Mordaktion wuchs der Widerstand in der Bevölkerung und auch in den Kirchen. Nach verschiedenen Predigten und dem berühmt gewordenen Hirtenbrief des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen am 3. August 1941 wurde die zentrale „T4-Aktion“ unmittelbar eingestellt. Das Morden ging allerdings weiter: Ab jetzt dezentral in den einzelnen Heil- und Pflegeanstalten durch Essensentzug oder mit Medikamenten. Von 1939 bis 1945 wurden insgesamt etwa 160.000 Behinderte getötet.

Zum selben Zeitpunkt, als die „T4-Aktion“ im August 1941 beendet wurde, kam der Film „Ich klage an“ in die deutschen Kinos – mit ihm wollten die Nationalsozialisten für die Zustimmung zur weitergeführten Ermordung Behinderter werben. Eine melodramatische Geschichte sollte den Zuschauern den Schluss nahelegen, dass „der Tod eine Erlösung für die Betroffenen und für die Menschheit eine Befreiung von einer Last“ sei. Regisseur Wolfgang Liebeneiner, seit 1938 künstlerischer Leiter der Deutschen Filmakademie Babelsberg, war von der Reichskanzlei mit der Realisierung des Films beauftragt worden, in dem eine junge, an multipler Sklerose erkrankte Frau ihren Gatten und einen Freund - beide sind Ärzte - um Sterbehilfe bittet. Hanna will nicht „blind, taub und idiotisch werden, nur ein Fleischklumpen“. Als Erstickungsanfälle einsetzen, verabreicht der Ehemann ihr ein tödliches Gift. Der Freund zeigt ihn wegen Mordes an. Daraufhin folgt ein harter Schnitt; dem Ehemann wird der Prozess gemacht, in dem die verschiedensten Meinungen über die Sterbehilfe zur Sprache kommen, von der Mordanklage bis hin zur Bewertung der Tötung als humanitäre Erlösung. Im Schlusswort bekennt er sich zu seiner Tat und spricht sich für die Legalisierung der Sterbehilfe aus. Der Film endet, ohne die Entscheidung des Richters abzuwarten.

In die Haupthandlung des Films ist eine brisante Nebenhandlung eingebaut, die die Sterbehilfe mit der Euthanasie zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ verknüpft. Der befreundete Arzt erzählt Hanna von einem kleinen Kind, das er nach einer lebensgefährlichen Hirnhautentzündung zunächst über den Berg gebracht hat, doch das Kind ist anschließend schwerstbehindert und die Eltern machen ihm Vorwürfe. Als er später das Kind in der Kinderabteilung einer psychiatrischen „Anstalt“ besucht, ist er total geschockt – und nimmt im Folgenden im Prozess gegen Hannas Ehemann den Mordvorwurf zurück.

Der Propagandafilm „Ich klage an“ ist die einzige Spielfilmproduktion der Nazis, die sich direkt mit Sterbehilfe und Euthanasie auseinandersetzt. Der filmtechnisch sehr gut gemachte Film verhandelt die Themen fast ausschließlich auf der privaten Ebene – die agierenden Personen sind sympathisch und verhalten sich verantwortungsvoll – und appelliert an die Emotionen des Publikums, das spürten auch die Zuschauer bei der Vorführung im Alten Amtsgericht deutlich. Erst während des Prozesses wird die Diskussion um philosophische, religiöse und politische Positionen erweitert; Sterbehilfe und Euthanasie werden dabei bewusst nicht klar voneinander abgegrenzt. Mit der raffiniert subtil eingeschleusten Propaganda in perfekt inszenierten Filmsequenzen sollte die Bevölkerung zu der Überlegung veranlasst werden, dass es richtig sei, dem Staat das Recht zur Euthanasie, also zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, zu geben. Auf Grund des sich in der Bevölkerung immer stärker abzeichnenden Widerstands gegen die staatliche Euthanasie wurde Passagen des Films mindestens zweimal verändert, die platte Propaganda durch einfühlsamere Dialoge und Einstellungen abgeschwächt. 18 Millionen Besucher sahen den Film. Die Nazi-Propaganda stufte ihn als äußerst wirkungsvoll ein. Goebels Ziel, die Propaganda auch künstlerisch überzeugend unters Volk zu bringen, war gelungen.
Die – unter ihnen auch einige Jugendliche – Zuschauer waren sich einig: Der Film „Ich klage an“ in Kombination mit den historischen und filmischen Hinweisen von Michael Loth beleuchtete sehr eindrucksvoll das eher selten thematisierte Kapitel des Menschen verachtenden Regimes der Nationalsozialisten. Es wurde lebhaft über die perfide Machart des Films, über Euthanasie in der Nazi-Zeit, aber auch über die aktuelle Sterbehilfe-Debatte diskutiert.
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