Besuch der Neuen Synagoge in Mainz
Besuch der Neuen Synagoge in Mainz am 19. Oktober
Die Symbolkraft der Architektur – die Neue Mainzer Synagoge
Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge organisierte Besuch der jüdischen Gemeinde
Zwingenberg/Mainz. Die neue Mainzer Synagoge versetzte die Besucher von der Bergstraße am vergangenen Sonntag in Staunen: Die Asymmetrie des großen Gebäudekomplexes und die Fassade aus hunderten grünlicher Keramikbänder schienen zunächst so gar nichts mit den eigenen Vorstellungen eines jüdischen Gotteshauses zu tun zu haben. Doch die Erläuterungen des Gemeinderabbiners Aharon Ran Vernikovsky erschlossen den Teilnehmenden ganz neue Perspektiven – auf Architektur wie auf das jüdische Leben: „Diese Synagoge ist Ausdruck eines Geschichtsbildes, das keine harmonische Kontinuität kennt, von Umbrüchen und Dissonanzen geprägt ist.
Im Gebetsraum erinnerte der Rabbiner an einige wichtige Etappen des jüdischen Lebens in Mainz. Hier gab es bereits im Mittelalter eine große Gemeinde, die auch das Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit in Europa darstellte. „Die Gelehrten waren – und das im tiefen Mittelalter – in ihrem Denken sehr modern“, so Vernikovsky. Sie proklamierten die Abschaffung der Polygamie, veränderten das Scheidungsrecht zu Gunsten der Frau und führten das Briefgeheimnis ein. Mainz gehörte zu jener Zeit mit Speyer und Worms zu den drei berühmten SchUM-Städten („SchUm“ ist aus den hebräischen Anfangsbuchstaben der Städte entstanden).
Nach dieser Hochzeit folgten Phasen der Verfolgung und Pogrome. So wurden die Juden auch für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht. Ab dem 16. Jahrhundert mussten sie in Ghettos leben. Erst die Napoleonischen Gesetze brachten mehr Freiheiten für die jüdische Bevölkerung und förderten die Emanzipation im bürgerlichen Deutschland des 19. Jahrhunderts. Die vorübergehende „harmonische Kontinuität“ des 18./19. Jahrhunderts fand dann ihr brutales Ende in der Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten.
Auf dem Vorplatz der Mainzer Synagoge symbolisieren dies die Fragmente der Säulenhalle der alten Hauptsynagoge, die in der Pogromnacht 1938 von den Nazi-Schergen zerstört wurde. Durch diese mahnenden Fragmente blicken die Besucher auf das 2010 neu erschaffene Bauwerk: Die Form des Gebäudekomplexes orientiert sich an den fünf hebräischen Buchstaben des Wortes „Kedushah“ („Heiligung“). Entstanden ist das Gebäude nach den Plänen des Architekten Manuel Herz, einem Schüler des berühmten US-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind. Und gewisse Ähnlichkeiten mit dem Jüdischen Museum Berlin waren durch die ungewöhnliche Linienführung („Between the Lines“) für die Besucher der Neuen Mainzer Synagoge auch erkennbar.
In dem Gebäudekomplex sind neben dem Gebetsraum noch ein großer Veranstaltungsraum für Feste, Feiern und kulturelle Veranstaltungen, wie Konzerte oder Gesprächsformate, sowie eine koschere Küche und Büros des Rabbinats und die Verwaltung. Auch in der schlichten Innenausstattung des Gebetsraums mit dem Thoraschrein spielen hebräische Buchstaben eine bedeutende Rolle: Tausende sind ornamentartig in die Seitenwände eingelassen, wobei Zitate aus der Thora hervorgehoben sind. „Die jüdische Religion war die erste Schriftreligion, später folgen die christliche und die islamische“, erläuterte Rabbiner Vernikovsky. Da heute nicht alle Gläubigen die hebräische Schrift noch lesen können, gibt es Gebetbücher mit Transkriptionen in lateinische und kyrillische Buchstaben.
"Unsere Gemeinde zählt seit den Neunziger Jahren wieder etwa 1000 Mitglieder. Damals kamen viele Zuwanderer aus den ehemaligen sowjetischen Republiken nach Deutschland“, so der Rabbiner. Alle jüdischen Gemeinden in Deutschland erfuhren einen rasanten Aufwuchs, allerdings ist die Mainzer Gemeinde noch bedeutet kleiner als vor der Auslöschung durch die Nationalsozialisten. 1933 gehörten 2700 Juden und Jüdinnen zu der Mainzer Gemeinde. Am 9. November 1945 beschlossen 20 Überlebende die Wiederbegründung. Bis Ende der 1980er Jahre wuchs die Gemeinde auf 140 Personen an.
"Unsere Gemeinde ist eine Einheitsgemeinde, es gibt nur eine Synagoge in Mainz – und bei uns sind verschiedene Strömungen des Judentums vereint“, erklärte Vernikovsky den Gästen. Wie diese Diversifizierung gelebt wird, konnte bei diesem Besuch nicht vertieft werden. Die Teilnehmenden und auch der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge hoffen auf eine Fortsetzung des Gesprächs bei einem Besuch des Gemeinderabbiners an der Bergstraße.
