Antifaschistische Stadtführung
Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 29. April 2008
Arbeitskreis Synagoge: Auf den Spuren der Nazi-Verfolgten
Bei Rundgang an ein dunkles Kapitel erinnert
Von unserer Mitarbeiterin Gerlinde Scharf
Zwingenberg. Nach einer längeren Pause hat sich der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge erneut entschlossen, interessierte Bürger zu einem "Stadtrundgang der besonderen Art" einzuladen. Die Führung "Mitten unter uns - Zwingenberg 1933 bis 1945" rückt einmal nicht die schönen Seiten des Städtchens in den Mittelpunkt, sondern setzte sich mit dem dunklen Kapitel des Nationalsozialismus und den Folgen für die einstmals hier lebenden Juden und aktiven Kommunisten auseinander. Sie erinnert an eine Zeit der Denunziation, der Bespitzelung und an die Zeit der Zerstörung in der Reichspogromnacht.
"Hier verlieren sich ihre Spuren - wahrscheinlich sind beide in Auschwitz umgekommen", so der Vorsitzende Dr. Fritz Kilthau über das Schicksal der Familie Wolf in der Obergasse, das für so viele andere stand. Kilthau gab beim Rundgang zahlreichen Zwingenbergern und Nachbarn von der nördlichen Bergstraße umfassende Informationen, zeigte die wichtigsten Gedenkstätten auf, führte zu den Wohnstätten der Familien Wachenheimer, Teichmann, Mütz, Wolf, Schack, Steitz, Mainzer, Schellhaas und rief deren Schicksal zurück ins Gedächtnis.
17 Opfer alleine in Zwingenberg
Nach bisherigen Erkenntnissen wurden 16 Zwingenberger Juden Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Dazu kommt Hanns Gärtner, ein Zeuge Jehova. Die etwa neunzigminütige Führung begann an der ehemaligen Synagoge in der Wiesenstraße 5, führte zu den früheren Wohnungen jüdischer Zwingenberger, zum Alten Rathaus am Alten Marktplatz, wo der Sitz der NSDAP-Ortsgruppe war, und endete im Rathaushof. Dort wurde 1984 eine Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht. Im Mai 2006 wurde zusätzlich eine Tafel angebracht, auf der die Namen der Ermordeten stehen.
Seit mehr als 600 Jahren sind Juden in Zwingenberg heimisch, wusste Dr. Kilthau anhand eines Mainzer Dokumentes von 1368 zu berichten. Immer mehr jüdische Familien ließen sich hier nieder. Anfang des 19. Jahrhunderts waren vier Familien ansässig. Weitere aus Hähnlein und Auerbach kamen hinzu. 1861 gab es 72 jüdische Bürger in Zwingenberg; Es wurde die erste eigenständige Gemeinde gegründet und die Synagoge in der Altstadt im obersten Stockwerk eines Gebäudes "Am alten Berg" eingeweiht.
Nach einem Brand 1902 wurde die neue, etwas kleinere (größere, F. Kilthau) Synagoge in der Wiesenstraße innerhalb von nur vier Monaten erbaut. Die Inbetriebnahme erfolgte in Anwesenheit zahlreicher Honoratioren im September 1903. Woher die eigentlich recht kleine Gemeinde das Geld für den Neubau nahm, ist bis heute nicht klar, erklärte Kilthau.
Das Gebäude wurde einen Tag nach der Reichspogromnacht für 6000 Reichsmark verkauft. Später setzte die JRSO, eine Organisation, die sich für die Entschädigung der Rechtsnachfolger der Juden einsetzte, durch, dass die neuen Eigentümer noch einmal 6000 Euro nachzahlen mussten.
Bemühungen ohne Erfolg
Die von der Zwingenberger Historikerin Dr. Claudia Becker und Architekt Heinz Frasine angestoßenen Bestrebungen, die alte Synagoge zu erwerben und wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sind bis heute ohne Erfolg. Es bleibt aber das Ziel des im Juli 1999 gegründeten Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge. Stadt, Kreis, Land und Bund hat man versucht anzuzapfen, um das Haus als Migrationszentrum für Glaubensflüchtlinge (Migrationsmuseum, F. Kilthau) nutzbar zu machen. Bis heute vergebens.
Der Besitzer des Gebäudes, das unter Denkmalschutz steht, darf im ehemaligen Gebetsraum keine baulichen Veränderungen vornehmen lassen. Dort befindet sich noch immer die Frauenempore. Teile des Wandschmuckes sollen ebenfalls noch vorhanden sein. 1964 wurde das Haus umgebaut. Nichts sollte mehr an die alte Synagoge erinnern, vermutet Kilthau. Doch bei genauem Hinsehen gibt es auch äußerlich etliche Hinweise auf das frühere Gotteshaus, wie der Davidstern an der Hausseite, die Strukturierung der Wand und die Eingangstore.
Die 40 in Zwingenberg wohnenden Juden sahen sich ab 1933 ebenfalls mit einer Vielzahl von "Aktionen" konfrontiert. So wurden sie verantwortlich gemacht für "internationale Gräuel und Boykotthetze". Der Zwingenberger Gemeinderat beschloss daraufhin 1935 die Ausschaltung des Judentums vom gesellschaftlichen Leben.
Dass die ehemalige Synagoge in der Wiesenstraße in der "Reichskristallnacht" nicht dem Erdboden gleich gemacht wurde, war einem tragischen Ereignis zu verdanken. Ein Toter war aufgebahrt, so dass sich die Schergen der SA (Sturmabteilung) nicht trauten, das Haus abzufackeln. Allerdings wurden Scheiben des Gotteshauses eingeworfen, Schmuckreliefs entfernt und Davidsterne aus der Einfriedung gehauen.
Bergsträßer Anzeiger
29. April 2008
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