Dr. Jeffrey und Michael Shaman in Zwingenberg

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 7. Juni 2004

Die Stadt und ihre Menschen geliebt - Michael und Jeffrey Shaman, die Enkel von Salomon Wachenheimer, zu Besuch in Zwingenberg


Zwingenberg. Als er das Letzte mal hier war, mit acht Jahren, da tobte der kleine Jeff noch mit seinem Großvater über den Marktplatz. "Salomon hat die Stadt und ihre Menschen geliebt", erinnert sich Jeffrey Shaman. Der Stammbaum von ihm und seinem jüngeren Bruder Michael wurzelt tief in der ältesten Stadt der Bergstraße:

Über Salomon und den Urgroßvater Heinrich Wachenheimer führt die genealogische Tafel über sechs Generationen zurück in die Vergangenheit. Das Schicksal der jüdischen Familie gehört zum dunkelsten Kapitel der Zwingenberger Geschichte. Fast habe er vergessen, wie schön es hier ist, lächelt Jeffrey Shaman.

Am Freitag geht er zum zweiten Mal über den historischen Marktplatz. Gemeinsam mit seinem Bruder besucht er den jüdischen Friedhof in Alsbach und steht vor dem Haus in der Pfarrhausgasse Nummer Eins, in dem Heinrich Wachenheimer einst mit seiner Frau Clothilde wohnte. Die Erinnerung an früher und das Gefühl für eine tiefe Vergangenheit, die nur in den Erzählungen des Großvaters und einigen alten Fotos lebt, sind groß in der Stadt seiner Ahnen.

Der Empfang am Samstag war alles andere als ein fremdelndes Annähern mit steifer Etikette. Die Kontakte mit der Stadt und insbesondere dem Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge sind lang, intensiv und freundschaftlich. Man schreibt sich regelmäßig, mailt und schickt und telefoniert. "Nur so war die fast lückenlose Aufarbeitung meiner Familie möglich", sagt Jeffrey und dankt Dr. Fritz Kilthau für die "wunderbare Zusammenarbeit und das anhaltende Interesse an der Geschichte der jüdischen Zwingenberger".

Kilthau, Vorsitzender des Synagogenvereins und Autor des Buches "Mitten unter uns", in dem die Geschehnisse zwischen 1933 bis 1945 akribisch nachgezeichnet werden, forcierte den Besuch der Brüder in Zwingenberg und dankte Bürgermeister Kullak für den herzlichen Empfang im Rathaus. Ein solches Zusammentreffen schüre die Freundschaft, und die Aufarbeitung der Verbrechen trage maßgeblich dazu bei, dass eine Wiederholung der Geschichte verhindert wird. "Die Erinnerung ist in unserem eigenen Interesse", sagte Kilthau. Begrüßt wurden die Gäste auch von Ehrenbürgermeister Kurt Knapp, den Stadträten Wolfgang Becker und Ruth Jakobi sowie Hanns Werner vom AK Synagoge.

Michael und Jeffrey Shaman zeigten sich "sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft der Zwingenberger" und den fruchtbaren Austausch bei der gemeinsamen historischen Spurensuche. "Das hat die Story der Familie komplettiert", lobt Jeffrey Shaman das Engagement des Synagogenvereins. Der ältere der beiden Brüder lebt heute als Molekularbiologe in Baltimore, Michael Shaman arbeitet bei der "Bank of America" in Atlanta.

Ein Fragment der Familiengeschichte: Im Oktober 1938 emigrierten Clothilde und Heinrich Wachenheimer mit der Lorscher Familie von Tochter Johanna, den Abrahams, in die französischen Pyrenäen. Die Tochter, ihr Mann und Enkel Kurt wurden verhaftet und ins Konzentrationslager Gurs verschleppt. Kurt gelang beim Transport nach Auschwitz die Flucht. Clothilde Wachenheimer starb im Oktober 1942 an einem Herzschlag. Heinrich emigrierte mit Kurt nach dem Krieg zu den Söhnen Berthold und Salomon in die Vereinigten Staaten. Heinrichs Bruder Zodik, der am Paß 21 wohnte, wurde von den Nazis 1940 ins KZ Gurs gebracht, wo er kurz nach seiner Ankunft an Typhus stirbt.

"Sich der Geschichte stellen heißt auch, den Dialog der jungen Generation fördern", sagte Kullak. Der Dank des Bürgermeisters galt dabei vornehmlich Dr. Fritz Kilthau, ohne dessen ausdauernde Beschäftigung und Kontaktpflege mit den Zwingenberger Juden ein Teil der städtischen Geschichte weitaus nebliger aussähe. Erst vor zwei Jahren reiste Dr. Claude Abraham, Sohn von Heinrichs Tochter Johanna, an den Melibokus.

Die Brüder Shaman haben den Aufenthalt in Zwingenberg genossen. Und "weil der Wein so ausgezeichnet schmeckt", wie Jeffrey mehrfach betont, gabs vom Rathauschef noch ein wenig flüssigen Reiseproviant mit auf den Heimweg. tr

© Bergsträßer Anzeiger - 07.06.2004

zurück