Hessische Gedenkstätteninitiative zur NS-Zeit

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 2. April 2007

Arbeitskreis Synagoge richtete Gedenkstätten-Treffen aus
Ziel: Die Erinnerungskultur jungen Leuten vermitteln

Zwingenberg. "Der alltägliche Antisemitismus ist spürbar", sagt Pfarrer Walter Ullrich vom Förderverein Jüdische Geschichte und Kultur in Groß-Gerau. Bei der Aufstellung von so genannten Stolpersteinen zur Erinnerung an ehemalige jüdische Mitbürger hat Ullrich die ablehnende Haltung vieler Einwohner hautnah miterlebt. "Einige meinten, dass sie so etwas nicht vor ihrem Haus wollen, weil es angeblich einen Wertverlust bedeute".
"Die rechte Ecke wächst"
Eine Tendenz, die Walter Bernsdorf nur bestätigen kann. Der Marburger Arbeitskreis berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Auch Südhessen bildet keine Ausnahme: In Darmstadt haben Vandalen im letzten Sommer das Denkzeichen am Güterbahnhof beschädigt. "Die rechte Ecke wächst ebenso wie die Gleichgültigkeit der Politik", kommentiert der Arbeitskreis Jüdisches Leben in Alsfeld beim jüngsten Treffen der hessischen Initiativen zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
Zweimal im Jahr lädt die Landeszentrale für politische Bildung zu einem solchen Informations-Austausch ein. Gastgeber der 20. Veranstaltung war jetzt der Zwingenberger Arbeitskreis Synagoge, dessen Erster Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau die Teilnehmer im Alten Amtsgericht begrüßte.
Trotz der negativen Meldungen standen in Zwingenberg die thematische Vielfalt der Gedenk- und Informationsstätten sowie der zahlreichen Initiativen im Mittelpunkt. Nachdem Stadtrat Wolfgang Becker die Gäste mit einem kurzen Abriss über die Geschichte der Stadt versorgt hatte, berichteten die Institutionen aus ihren jeweiligen Arbeitsbereichen. Neben Mitgliedern aus Synagogenvereinen kam unter anderen Dr. Georg Lilienthal von der Gedenkstätte Hadamar sowie Vertreter vom Fitz-Bauer-Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust mit Sitz in Frankfurt, dessen jüngst ausgeschiedener Direktor Dr. Dietfrid Krause-Vilmar in Zwingenberg anwesend war.
Der Landesverband der Gedenkstätten- und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen berichtete über aktuelle Entwicklungen. Dr. Karlheinz Schneider vom Aktiven Museum Spiegelgasse (Deutsch-Jüdische Geschichte) in Wiesbaden betonte in Zwingenberg, dass sich die Erinnerungskultur und Gedenkpädagogik künftig verstärkt auch an junge Menschen richten müsse. "Die Lebenswelt der vierten Nach-Holocaust-Generation ist für uns schwer erreichbar".
Im Rahmen der historischen Aufarbeitung dürfe auch das jüdische Leben im 21. Jahrhundert nicht vernachlässigt werden, so Schneider. Eine erfreuliche Nachricht hatte Vorsitzende Gabriele Schmitt vom Arbeitskreis Landsynagoge Roth (Marburg/Biedenkopf) mitgebracht. Mit einem ersten Platz beim Hessischen Förderpreis "Kirche im Dorf" 2007 hat der Verein dazu beigetragen, jüdische Denkmäler als Teil der deutschen Geschichte zu begreifen und eine aufklärende Erinnerungsarbeit zu integrieren.
Teilnehmende Vereine aus der Region waren die Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger (Bensheim) und der Auerbacher Synagogenverein, der 1984 gegründet wurde und zu den ältesten seiner Art gehört. Vorsitzender Karlheinz Storch berichtete vom umfangreichen Veranstaltungsprogramm und den zahlreichen Kontakten in die ganze Welt.
Über das Leben im Zwingenberger Arbeitskreises informierte Dr. Fritz Kilthau im Alten Amtsgericht. Neben der Historie der Synagoge von ihrer Erbauung im Jahr 1903 bis heute skizzierte Kilthau die vielseitigen Aktivitäten und breit gefächerten Veranstaltungen des Vereins. Dabei betonte der Vorsitzende die Vorträge zur lokalen NS-Geschichte, über die Zwingenberger Juden und das KZ-Außenlager in Bensheim-Auerbach. Hinzu kommen regelmäßige Führungen über den Alsbacher Judenfriedhof sowie kulturelle Veranstaltungen und Radiobeiträge.
Widerstand in Zwingenberg
Die "Zwingenberger Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen" wurde vom Arbeitskreis in die städtischen Gremien eingebracht. Als eine der jüngsten Publikationen wurde die Broschüre zu Leben und Wirken des Schauspielers Theodor Loos vorgestellt.
Greifbar wurde die Stadtgeschichte beim anschließenden Rundgang, der den Gästen an einzelnen Stationen wichtige Hinweise zu Verfolgung und zum Widerstand in Zwingenberg gegeben hat.
Dr. Fritz Kilthau bilanzierte die Veranstaltung als informatives Treffen mit persönlichen Kontakten, das den Teilnehmern neue Impulse für die eigene Projekte und Aktivitäten vermittelt hat. tr

Bergsträßer Anzeiger
02. April 2007

Artikel des Darmstädter Echo vom 4. April 2007

Tagung für das „Nicht-Vergessen“
Gedenkstätten: Vertreter hessischer Initiativen sind zu Gast beim Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge

ZWINGENBERG. Fritz Kilthau, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, wertete das Treffen als vollen Erfolg. Zwei Mal im Jahr begegnen sich Vertreter hessischer Gedenkstätten- und Erinnerungsinitiativen, die sich mit den Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur befassen, auf Initiative der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung. Vergangene Woche hatte der Zwingenberger Arbeitskreis eingeladen, mehr als zwei Dutzend Vertreter sozialer Organisationen folgten der Einladung und sprachen sich in einer mehr als sechsstündigen Tagung für das „Nicht-Vergessen“ der deutschen Gräueltaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus.
„Jeder Verein setzt seine eigenen Schwerpunkte“, erklärte Kilthau, dass die Arbeit vieler Initiativen durch eine eigene Synagoge definiert sei. Bei der Arbeitstagung im Alten Amtsgericht ging es jedoch vor allem darum, die übrigen Mitglieder der Tagung über die verschiedenen Aktionen in ganz Hessen zu informieren. Von Kassel bis Auerbach waren sie gekommen, um sich zunächst einander vorzustellen und sich dann vor allem in Einzelgesprächen während des Mittagessens auszutauschen. „Es geht um den Kontakt untereinander“, sagte Kilthau.
Nach dem Mittagessen in der Altstadtschänke stand ein von Fritz Kilthau geleiteter Rundgang durch die Zwingenberger Altstadt auf dem Programm. Dabei wandelte man gemeinsam auf den Spuren der NS-Zeit. Beim Rundgang wurde vieler Zwingenberger gedacht, die trotz Diktatur der Nationalsozialisten sich nicht in ihrem sozialem Engagement zurückschrecken ließen. So predigte Pfarrer Adam Höfle in der Bergkirche und gab trotz Verbot Religionsunterricht in der Zwingenberger Schule. Der Sozialdemokrat Johann Heinrich Schellhaas wurde wegen Erwerb eines kommunistischen Flugblattes von den Nationalsozialisten zu vier Monaten Haft verurteilt. Der ehemalige KPD-Vorsitzende und erste Nachkriegsbürgermeister Zwingenbergs, Ludwig Mütz, wurde insgesamt 45 Monate in Konzentrationslagern und Zuchthäusern inhaftiert.
Die Teilnehmer aus ganz Hessen besuchten nicht nur die früheren Wohnorte der damals Verfolgten, sondern begutachteten auch die Gedenktafel im Rathaushof, die erst im vergangenen Jahr durch die Namen der Zwingenberger Opfer ergänzt wurde. „Auf besonderes Interesse stieß bei unseren Gästen, dass wir uns im Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge nicht nur um die Aufklärung der geschichtlichen Verfolgung der Juden kümmern, sondern beispielsweise auch um die Verfolgung von Sozialdemokraten, Kommunisten oder Zeugen Jehovas“, erklärte Fritz Kilthaus im Anschluss an die Tagung. Auch die Erklärung, die nach einem Infostand neonazistischer Gruppen am 26. August 2005 in Zwingenberg abgegeben, mittlerweile in Bensheim verabschiedet und derzeit als Vorlage vielen anderen Bergstraßenkommunen übergeben wurde, fand Anklang bei den Besuchern. Darin heißt es: „Schweigen und Wegsehen kann leicht als Akzeptanz missverstanden werden. Wir erklären deshalb, dass wir entschieden gegen ein Auftreten der Rechtsextremisten in Zwingenberg sind.“
Zuvor hatte Kilthaus während der Tagung den „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ vorgestellt. Das nächste Treffen im Oktober soll in Alsfeld sein.

Darmstädter Echo 4.4.2007 phil

Artikel des "Der Bergsträßer" vom 5. April 2007

Weiter gegen das Vergessen agieren
NS-Gedenkstätten-Initiativen treffen sich

Zwingenberg (pm). Der "Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge" hatte kürzlich Vertreter hessischer "Gedenkstätten- und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit" zu Gast. Die Veranstaltung wurde von der hessischen Landeszentrale für politische Bildung geleitet. Die Teilnehmer des 20. Treffens hessischer Gedenkstätteninitiativen in Zwingenberg waren sich einig: Initiativen zur Erinnerung an die jüdischen Gemeinden und die Aufarbeitung der Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten seien angesichts des immer stärkeren Auftretens neonazistischer Gruppen heute notwendiger denn je.

Nach der Begrüßung durch die Leiterin des Referats III der hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Renate Knigge-Tesche, und einem Grußwort des Zwingenberger Stadtrats Wolfgang Becker stellten die verschiedenen Arbeitsgruppen die Schwerpunkte ihrer Arbeit vor. Über ihre Tätigkeiten berichteten unter anderem Verteter der Gedenkstätte Hadamar, des AK „Spurensicherung Laubach“, der Gedenkstätte Breitenau, des AK „Jüdisches Leben in Alsfeld/Vogelsberg“, der Gedenkstätte und Museum Trutzhain, diversen Synagogenvereinen (Synagoge Vöhl, Landsynagoge Roth, Ehemalige Synagoge Klein-Krotzenburg, Ehemalige Synagoge Groß-Krotzenburg, ehemalige Synagoge Pfungstadt, Auerbacher Synagogenverein, Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge), der Bensheimer Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger und des Fritz-Bauer-Instituts, dessen bisheriger kommissarischer Leiter Prof. Dr. Dietfrid Krause-Vilmar in Zwingenberg anwesend war.
Schwerpunkte der Diskussion waren der alltägliche Antisemitismus – von der Ablehnung sog. „Stolpersteine“, die im Pflaster vor Wohnungen ehemaliger Juden an die Opfer erinnern sollen, bis zur Schändung von Judenfriedhöfen – hier wurden die Vorgänge am Alsbacher Friedhof angeführt - und der Zerstörung von Gedenkstätten wie beispielsweise in Darmstadt am Güterbahnhof. Viele Teilnehmer betonten die Wichtigkeit, verstärkt junge Menschen über die lokale NS-Geschichte aufzuklären, um aufzuzeigen, wohin Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichekeit führen können.
Im Anschluß an den intensiven Informationsaustausch beleuchtete Dr. Fritz Kilthau, 1. Vorsitzender des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“, die Historie des Bauwerks vom Zeitpunkt ihrer Erbauung 1903 bis heute, danach informierte er über die vielfältigen Aktivitäten des Vereins: Lesungen, Konzerte, Filmvorführungen, die ergänzt werden durch ein Angebot eigener Publikationen und Vorträge zur lokalen NS-Geschichte, über die Zwingenberger Juden, das KZ-Außenlager Bensheim-Auerbach sowie über den Zwingenberger Schauspieler Theodor Loos. Kilthau berichtete auch über das kürzlich aufgeführte Theaterstück „Mitten unter uns – Juden in Zwingenberg“ und von der „Zwingenberger Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen“, die auf Initiative des Vereins vom Zwingenberger Magistrat, der Stadtverordnetenversammlung und den hiesigen Kirchengemeinden verabschiedet wurde. Dr. Kilthau lud die Teilnehmer anschließend zu einem eineinhalbstündigen Stadtgang zur Geschichte der NS-Zeit in Zwingenberg ein. Seinen Abschluss fand das Treffen bei einer kleinen Weinprobe auf der Terrasse vor der evangelischen Bergkirche.

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