Meine Familie und der Vernichtungskrieg


Rudolf Spohr in Wehrmachtsuniform. (Copyright: Familienbesitz Spohr)
„Meine Familie und der Vernichtungskrieg“
Der Historiker Spohr berichtet über seine Recherchen und die Folgen
In Schubladen, Regalen und Kisten findet Johannes Spohr 2006 nach dem Tod seines Großvaters in dessen Haus diverse Dokumente aus der NS-Zeit; im Schrank hängt noch die Wehrmachtsuniform. Wie beteiligte sich Rudolf Spohr am NS-Vernichtungskrieg, und was war die Rolle der Großmutter? Der Historiker berichtet am 12. Juni (Donnerstag) über seine Recherchen in Archiven und vor Ort in der Ukraine. Und er erzählt, wie die Bürger von Nordenham, dem Wohnort des Großvaters, auf die Recherchen reagiert haben. Zu dem Vortrag und der anschließenden Diskussion lädt der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge um 19 Uhr in den Saal des Alten Amtsgerichts, Obertor 1, ein.
"Er hat sich selbst als Kriegsgegner bezeichnet, er habe aber keine andere Wahl gehabt, als Soldat zu werden“, so der Enkel, der als Kind häufig seine Ferien bei den Großeltern verbracht hat. Seine Nachforschungen zeigten: Rudolf Spohr war Mitglied der NSDAP und in seiner Funktion als Ordonnanzoffizier im Oberkommando des Heeres (OKH) auch an verschiedenen Orten, an denen schreckliche Verbrechen passiert sind. „So auch in dem ukrainischen Ort Winnyzja, wo allein im September 1941 15.000 Juden erschossen wurden,“ sagt der Historiker. Auch während seines Einsatzes im Generalkommando eines Panzerkorps in Italien verüben deutsche Soldaten im Umfeld diverse Kriegsverbrechen. Spohr findet keine eindeutigen Hinweise, dass sein Großvater unmittelbar an den vielen verübten Massakern beteiligt war. Aber in einem Reisebericht von der Krim vom September 1942 schrieb er: Der Krieg werde einen Frieden hervorbringen, „der den Einsatz von diesen Mengen Blut immer und ewig lohnen wird“. Und zu Hause freute sich seine Frau über geraubte Dinge aus den besetzten Gebieten.
Spohrs Großvater war in der Nachkriegszeit in der norddeutschen Kleinstadt Nordenham eine wichtige Persönlichkeit; 25 Jahre war er Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft. Die Bildungsbürger waren voll des Lobes über seine Aktivitäten zur klassischen Kultur. Die Zeit des Krieges habe er nie erwähnt, er habe im „Hier und Jetzt“ gelebt und mit dieser Zeit abgeschlossen, so berichteten es Nordenhamer Weggefährten. „Abgeschlossen hatte er mit vielem, aber sicherlich nicht mit der – gleichwohl privaten – Vergegenwärtigung des Krieges“, meint sein Enkel.
Der Berliner Historiker Spohr ist zum zweiten Mal Gast des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge. Im November 2024 leitete er einen Workshop: Dabei vermittelte er Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wie sie an Informationen gelangen, wenn sie zur Familiengeschichte im Nationalsozialismus forschen wollen. Das Interesse war groß, mehr über seine Aufarbeitung der Geschichte seines Großvaters zu erfahren.